Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Jahrhundert mit Strafverteidigern zu tun hatten, darunter nur ganze drei Ehrenmänner einfielen, schlug Vianello vor: »Statt anständig könnten wir uns ja mit effizient zufriedengeben.« Daß damit Donatinis Name wieder in die erste Wahl geriete, übergingen beide geflissentlich.
Brunetti sah auf die Uhr. »Wenn ich seine Frau treffe, werde ich mich erkundigen, ob sie einen Anwalt haben.« Damit stieß er sich von der Schreibtischkante ab, ging um das Möbel herum und nahm in seinem Sessel Platz.
Im Eingangskorb bemerkte er einige Papiere, die gestern zum Feierabend noch nicht dagelegen hatten, warf aber nur einen flüchtigen Blick darauf. »Wir müssen vor allem eins herausfinden«, sagte er. »Wer diesen Einsatz genehmigt hat?« fragte Vianello.
»Genau. Ohne richterliche Vollmacht und ohne Absprache mit uns würde ein Carabinieri-Kommando von außerhalb niemals hier eindringen und ein Privathaus stürmen.«
»Patta?« grübelte Vianello laut. »Könnte er Bescheid gewußt haben?«
Auch Brunetti hatte als erstes auf den Vice-Questore getippt, diese Möglichkeit jedoch nach reiflicher Überlegung wieder verworfen. »Könnte sein. Aber dann hätten wir davon gehört.« Er brauchte nicht zu erwähnen, daß die Information nicht vom ViceQuestore selbst gekommen wäre, sondern von dessen Sekretärin, Signorina Elettra.
»Wer dann?« fragte Vianello.
Brunettis Antwort ließ auf sich warten. »Vielleicht Scarpa«, mutmaßte er schließlich.
»Aber der ist doch quasi Pattas Kettenhund!« Vianellos Abneigung gegen den Tenente war unverkennbar.
»Schon, aber er hat in letzter Zeit einiges verbockt. Möglich, daß er sich, um seine Position zu stärken, über Patta hinweg direkt an den Questore gewandt hat.«
»Aber was, wenn Patta davon Wind bekommt?« wandte Vianello ein. »Daß ausgerechnet Scarpa ihn übergeht, würde ihm gar nicht gefallen.«
Brunetti hatte in letzter Zeit häufiger über die Symbiose zwischen diesen beiden Südländern, Vice-Questore Patta und seinem Wachhund Tenente Scarpa, nachgedacht. Er war immer davon ausgegangen, daß Scarpa sich auf die Protektion des ViceQuestore verließ. Doch was, wenn der Tenente seinen Bund mit Patta nur als Flirt betrachtete, als Sprungbrett auf dem Weg zu Höherem, und sich in Wahrheit ganz oben, beim Questore, einzuschmeicheln suchte?
Im Lauf der Jahre hatte Brunetti wiederholt die Erfahrung gemacht, daß er Scarpa zu seinem eigenen Schaden unterschätzte. Also war er vielleicht gut beraten, wenn er künftig mit allen Eventualitäten rechnete und vor dem Tenente auf der Hut war.
Patta wiederum war zwar ein Hohlkopf, obendrein eitel und faul, doch von Bagatellen abgesehen, hatte Brunetti keine Anhaltspunkte dafür, daß er korrupt oder gar mit der Mafia im Bunde sein könnte.
Der Commissario geriet unversehens ins Grübeln. War es mittlerweile so weit gekommen, daß der Wegfall eines Lasters schon als Tugend galt? Sind wir, fragte sich der Commissario, alle verrückt geworden?
Vianello, der mit derlei Abschweifungen seines Vorgesetzten hinlänglich vertraut war, wartete, bis Brunetti wieder in die Gegenwart zurückgefunden hatte. Dann fragte er listig: »Sollen wir sie darauf ansetzen?«
»Ich glaube, das würde ihr Spaß machen«, antwortete Brunetti prompt. Und dabei hatte er sich doch fest vorgenommen, Signorina Elettras Passion, das polizeiliche Sicherheitssystem auszutricksen, nicht länger Vorschub zu leisten.
»Erinnerst du dich an die Frau, Lorenzo, die vor etwa einem halben Jahr hier war und uns von dem schwangeren Mädchen erzählte?«
Vianello nickte. »Ja, schon, aber wieso fragst du?«
Brunetti rief sich die Frau ins Gedächtnis, mit der er damals gesprochen hatte. Klein, über sechzig, stark onduliertes, blond gefärbtes Haar und sehr besorgt, daß ihr Mann von ihrem Besuch bei der Polizei erfahren könnte. Aber irgend jemand hatte sie hergeschickt. Eine Tochter oder Schwiegertochter war, fiel ihm ein, die treibende Kraft gewesen.
»Ich wüßte gern, ob diese Befragung protokolliert wurde. Ich weiß nicht mehr, ob ich darum gebeten hatte, und auch der Name der Frau ist mir entfallen. Sie war aber doch im Frühling hier, nicht?«
»Ich glaube schon«, antwortete Vianello. »Mal sehen, ob sich ein Protokoll ausfindig machen läßt.«
»Ihre Beobachtungen haben vielleicht gar nichts mit Pedrollis Fall zu tun. Trotzdem würde ich ihre Aussage gern nachlesen und mich eventuell noch einmal mit ihr unterhalten.«
»Wenn's ein Protokoll gibt,
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