Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
dann finde ich es auch«, versicherte Vianello.
Brunetti sah auf die Uhr. »Ich gehe jetzt ins Krankenhaus. Mal sehen, was von Pedrollis Frau zu erfahren ist«, erklärte er. »Frag du doch Signorina Elettra, ob sie rauskriegen kann, wer Bescheid gewußt hat über diesen Carabinieri ... Einsatz.« Der Commissario hätte gern ein stärkeres Wort gebraucht - Angriff, Razzia -, doch er bezwang sich.
»Ich rede mit ihr, sobald sie am Nachmittag kommt«, versprach der Inspektor.
»Nachmittag?« wiederholte Brunetti verdutzt.
»Heute ist Dienstag«, sagte Vianello so beiläufig, als läge die Erklärung auf der Hand: Lebensmittelgeschäfte bleiben Mittwoch nachmittags geschlossen, Fischrestaurants haben montags Ruhetag, und Signorina Elettra arbeitet am Dienstag nur halbtags.
»Ach ja, richtig.«
7
S ie war stark. Hätte Brunetti erklären sollen, warum sich ihm bei seiner ersten Begegnung mit Pedrollis Frau gerade dieses Adjektiv aufdrängte, so wäre er um eine Antwort verlegen gewesen. Aber es flog ihm zu, kaum daß er sie sah, und bestimmte sein Bild von ihr, solange sie miteinander zu tun hatten. Sie stand neben dem Bett ihres Gatten und funkelte den Eintretenden irritiert an, obwohl Brunetti geklopft hatte. Offenbar hatte sie jemand anderen erwartet, jemanden im weißen Arztkittel.
Sie war eine Schönheit: Das war Brunettis zweiter Eindruck. Groß und schlank, mit wallenden, kastanienbraunen Locken. Sie hatte hohe Wangenknochen und helle Augen - grün oder vielleicht auch grau - und eine schmale Stupsnase. Der Mund war im Verhältnis zur Nase zu groß, und doch paßten die vollen Lippen wunderbar zu ihrem Gesicht. Obwohl bestimmt schon Anfang Vierzig, hatte sie noch eine makellos straffe, faltenlose Haut und sah mindestens zehn Jahre jünger aus als der Mann im Bett. Ein Vergleich, der allerdings unter den gegebenen Umständen nicht ganz fair sein mochte.
Kaum hatte sie registriert, daß Brunetti nicht der war, den sie erwartet hatte, wandte die Frau sich wieder ihrem Mann zu. Pedrolli schien zu schlafen. Brunetti sah von ihm bloß Stirn, Nase und Kinn; die Körperkonturen zeichneten sich nur schwach unter der Decke ab.
Die Frau hielt den Blick unverwandt auf ihren Mann gerichtet, und Brunetti konzentrierte sich auf sie. Zum dunkelgrünen Wollrock trug sie einen beigefarbenen Pullover und braune Schuhe; ein Designermodell, nicht zum Laufen geeignet.
»Signora?« meldete Brunetti sich von der Tür her.
»Ja?« Sie gönnte ihm einen flüchtigen Blick, widmete sich aber gleich wieder ihrem Mann.
»Ich bin von der Polizei«, erklärte Brunetti.
Ihre jähzornige Reaktion traf ihn völlig unvorbereitet. Fast hätte man fürchten mögen, ihr aggressiver Ton könne sich jeden Moment in tätlicher Gewalt entladen. »Sie wagen es, hierherzukommen, nachdem Sie uns das angetan haben? Sie schlagen meinen Mann bewußtlos, lassen ihn, sprachunfähig, am Boden liegen, und dann unterstehen Sie sich, hier aufzukreuzen und mich so einfach anzusprechen?«
Mit geballten Fäusten machte sie zwei Schritte auf Brunetti zu, der unwillkürlich die Arme hochriß und die Handflächen nach außen kehrte; eine Geste, die freilich eher zur Abwehr böser Geister taugte als gegen drohende Gewalt. »Mit dem, was letzte Nacht geschehen ist, habe ich nichts zu schaffen, Signora. Im Gegenteil! Ich ermittle gegen diejenigen, die Ihren Gatten angegriffen haben.«
»Lügner!« schleuderte sie ihm entgegen, kam jedoch nicht näher.
»Signora«, setzte Brunetti mit sorgsam gedämpfter Stimme noch einmal an, »man hat mich nachts um zwei aus dem Bett geholt. Die Questura hatte eine Meldung erhalten, der zufolge ein Mann überfallen und ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Ich sollte den Fall untersuchen.« Das war eine geschönte Version, sogar mit ein bißchen Flunkerei versetzt, doch im Kern stimmte seine Geschichte. »Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie gerne die Ärzte oder die Schwestern befragen.« Brunetti hielt inne und beobachtete ihre Reaktion.
»Wie heißen Sie?« fragte sie endlich.
»Guido Brunetti, von der Kriminalpolizei. Der Einsatz, bei dem Ihr Mann verletzt wurde ...« Sie wollte etwas erwidern, doch er ließ sich nicht unterbrechen, »... war Sache der Carabinieri. Wir hatten nichts damit zu tun. Meines Wissens hatte man uns nicht einmal informiert.« Das hätte er vielleicht nicht preisgeben sollen, aber er hoffte, damit ihren Zorn zu besänftigen und sie gesprächsbereit zu machen.
Der Versuch mißlang. Sie
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