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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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an die brutalen Methoden der Carabinieri: Hier lag es zweifellos im Interesse des Staates, zu verhindern, daß die Presse davon Wind bekam. Falls die Festnahmen dennoch publik wurden - und das Frühstücksfernsehen heute morgen hatte bereits einen ersten Schritt in diese Richtung getan -, dann konnten die Pedrollis nur davon profitieren, wenn auch ihr Zusammenstoß mit den Carabinieri an die Öffentlichkeit gelangte.
    »An Ihrer Stelle, Signora, würde ich abwarten, wie die Medien den Fall darstellen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, Sie und Ihr Mann haben zwar eine Verfehlung begangen, aber Sie haben es aus Liebe getan.« Brunetti war sich im klaren darüber, daß er einer Zeugin, wenn nicht gar einer Verdächtigen Schützenhilfe leistete und ihr Munition zur Verteidigung lieferte. Aber solange er sich mit seinen Warnungen und Ratschlägen auf ihren Umgang mit den Medien beschränkte, sah er darin nichts Verwerfliches. »Das könnte die Journalisten auf Ihre Seite ziehen.«
    »Nicht, wenn die Carabinieri zuerst mit ihnen sprechen«, entgegnete sie mit erstaunlichem Scharfblick für die Regeln des Boulevards. »Die brauchen nur ihren verletzten Kameraden zu erwähnen, und wir sind erledigt.«
    »Vielleicht auch nicht, Signora. Wenn erst einmal herauskommt, wie übel man Ihrem Gatten mitgespielt hat - und Ihnen natürlich.«
    Seine stetig wachsende Verachtung für die Medien wurde Brunetti manchmal selber unheimlich. Aber mitunter schien es wirklich so, als brauchte ein Krimineller sich nur zum Opfer zu stilisieren, und schon brach ein Geheul los, das bis Rom zu hören war. Ob es sich dabei um einen Bankräuber handelte, einen Bombenleger oder einen Mörder, fiel kaum noch ins Gewicht. Sobald die Reporter den Eindruck hatten, der Täter sei irgendwann einmal ungerecht behandelt worden oder man habe ihm in der Vergangenheit übel mitgespielt, widmeten sie ihm auf der Stelle ausführliche Berichte, Leitartikel, ja sogar Interviews. Trotzdem suggerierte er gerade einer potentiellen Verdächtigen, daß und wie sie sich mediengerecht in Szene zu setzen habe.
    Brunetti riß sich gewaltsam aus seinen Betrachtungen und wandte sich wieder Signora Marcolini zu. »... zurück zu meinem Mann«, hörte er sie gerade noch sagen.
    »Ja, selbstverständlich. Aber könnte ich Sie vielleicht noch einmal sprechen, Signora?« fragte Brunetti, der natürlich wußte, daß er sie gegebenenfalls vorladen und so lange in der Questura festhalten konnte, wie es ihm beliebte.
    »Ich möchte mich erst mit einem Anwalt beraten«, sagte sie und stieg damit wieder ein Stück in Brunettis Achtung. Wenn, was anzunehmen war, die Familie ihre väterlich schützende Hand über sie hielt, so bürgte der Name Marcolini dafür, daß sie den bestmöglichen Rechtsbeistand bekam.
    Brunetti erwog, sich bei ihr nach dem Fremden zu erkundigen, der in der kurzen Szene vor dem Zimmer ihres Mannes so augenfällig über Patta dominiert hatte. Aber dann hielt er es doch für klüger, diese Episode für sich zu behalten. »Ganz wie Sie wünschen, Signora«, sagte er, zückte seine Brieftasche und überreichte ihr eine Visitenkarte. »Wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann, zögern Sie nicht, mich anzurufen.«
    Signora Pedrolli schob die Karte ungelesen in ihre Rocktasche und nickte ihm zu, bevor sie wieder im Zimmer ihres Mannes verschwand.
    Brunetti verließ die Station und das Krankenhaus und grübelte auf dem Weg zurück zur Questura über dieses letzte Gespräch mit Signora Marcolini nach. Ihre Sorge um ihren Mann wirkte glaubhaft. Aber plötzlich mußte er an Salomon denken und an das Gleichnis von den zwei Frauen, die beide die Mutterschaft für ein und dasselbe Kind beanspruchten. Die leibliche Mutter verzichtete aus Liebe zu ihrem Sohn, als Salomon verfügte, man solle das Kind zweiteilen, damit jede Klägerin zu ihrem Recht käme, während die falsche Anwärterin gegen diesen grausamen Richtspruch nichts einzuwenden hatte. Das Gleichnis war natürlich längst ins allgemeine Kulturgut eingegangen, so oft hatte man es erzählt und weitergetragen. Wenn es Brunetti ausgerechnet jetzt einfiel, dann deshalb, weil er nicht verstehen konnte, wieso Signora Marcolini sich überhaupt nicht für das Schicksal des Babys interessiert hatte.

10
    Z urück in der Questura wollte Brunetti als erstes nachsehen, ob Patta schon im Büro war. Doch als er oben ankam, fand er zu seinem Erstaunen Signorina Elettra an ihrem Schreibtisch vor. Auf den ersten Blick

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