Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
offenbar an eine Klinik in Verona gewandt. Es dürfte sich um eine Privatklinik handeln, die auf Fortpflanzungsprobleme spezialisiert ist. Ich möchte, daß Sie versuchen, diese Klinik ausfindig zu machen. Von den anderen Paaren, die sich wegen illegaler Adoption verantworten müssen, waren zwei ebenfalls dort in Behandlung.«
Sobald sie sich mit einer Aufgabe betraut sah, wurde Signorina Elettra ruhiger. »Das dürfte nicht schwierig sein. Wie viele Fertilitätskliniken kann es in Verona schon geben?«
Brunetti überließ sie ihren Recherchen und ging hoch. Es dauerte dann doch über eine Stunde, bis Signorina Elettra zu ihm hinaufkam. Brunetti sah erst jetzt, daß sie einen wadenlangen grünen Rock trug. Die Stiefel, die darunter hervorblitzten, hätten Marvilli vor Neid erblassen lassen.
»Ja, Signorina?« fragte Brunetti, sobald er sich vom Anblick der Stiefel losreißen konnte.
»Wer hätte das gedacht, Commissario?« fragte sie aufgeräumt. Seinen Versuch, die Carabinieri in Schutz zu nehmen, hatte sie ihm offenbar verziehen.
»Was denn?«
»Daß es allein in und um Verona drei Fertilitätskliniken beziehungsweise Privatsanatorien mit Spezialabteilung für Fortpflanzungsprobleme gibt.«
»Und das allgemeine Krankenhaus?«
»Habe ich auch überprüft. Die haben auch ein Forschungslabor, angeschlossen an die Entbindungsstation.«
»Macht also vier«, konstatierte Brunetti. »Und das nur in Verona.«
»Unglaublich, nicht wahr?«
Er nickte. Weitläufig belesen, wie er war, wußte Brunetti Bescheid über die seit Jahren rapide sinkende Spermaproduktion bei europäischen Männern. Wie er auch mit Sorge jene aufdringliche Kampagne verfolgt hatte, die ein Referendum zugunsten der Fertilitätsforschung zu Fall brachte. Und die Positionen, die von etlichen Politikern vertreten wurden - ehemalige Faschisten als Befürworter der künstlichen Befruchtung; ehemalige Kommunisten im Schlepptau des Klerus -, hatten Brunetti geistig wie seelisch schwer mitgenommen.
»Wenn Sie sicher sind, daß dieses Ehepaar eine Klinik in Verona aufgesucht hat, dann brauchte ich nur ihre Krankenversichertennummern zu ermitteln: Die haben sie nämlich angeben müssen, sogar in einer Privatklinik.«
Seinerzeit, als Signorina Elettra noch neu war in der Questura, hätte Brunetti sich bei einer solchen Feststellung genötigt gesehen, einen Vortrag über die Unantastbarkeit der Privatsphäre, in diesem Fall das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient betreffend, zu improvisieren. Gefolgt von ein paar Worten zum Datenschutz, unter den insbesondere die Krankengeschichte eines jeden Bürgers fiel. Heute sagte er einfach nur: »Tun Sie das.«
Der Commissario sah, daß Signorina Elettra noch etwas hinzufügen wollte, und hob fragend das Kinn.
»Es wäre wahrscheinlich einfacher, ihre Telefonverbindungen zu überprüfen und nachzusehen, welche Nummern in Verona sie angewählt haben«, schlug sie vor.
Brunetti erkundigte sich schon lange nicht mehr danach, wie sie so etwas anstellen wollte.
Nachdem Signorina Elettra sich Pedrollis Namen notiert hatte, blickte sie zu Brunetti auf und fragte: »Führt seine Frau den Namen ihres Mannes oder den eigenen?«
»Ihren Geburtsnamen, Marcolini. Vorname Bianca.«
Signorina Elettra murmelte etwas, das entweder Bestätigung oder Erstaunen ausdrückte. »Marcolini«, wiederholte sie leise. »Mal sehen, was ich herausbekommen kann«, sagte sie noch, bevor sie ging.
Allein geblieben, überlegte Brunetti, wie er an die Namen der übrigen Verdächtigen gelangen könnte, die von den Carabinieri festgenommen worden waren. Vielleicht führte der schnellste Weg diesmal über die amtlichen Kanäle, und er sollte einfach bei den Carabinieri direkt anfragen.
Doch als Brunetti in der Zentrale an der Riva degli Schiavoni anrief und nach Marvilli fragte, erfuhr er nur, daß der Carabiniere dienstlich unterwegs und telefonisch nicht erreichbar sei. Vierzig Minuten später hatte Brunetti sowohl mit Marvillis Vorgesetztem wie auch mit den Kommandanten in Verona und Brescia gesprochen, aber jedesmal das gleiche zu hören bekommen: Man sei nicht befugt, die Namen der Festgenommenen preiszugeben. Ungeachtet der Behauptung, er erkundige sich im Auftrag seines obersten Chefs, des Questore von Venedig, biß Brunetti auf Granit. Als er darum bat, den Posten vor Dottor Pedrollis Krankenzimmer abzuziehen, hieß es, man habe sein Ersuchen protokolliert.
Da er einsehen mußte, daß er so nicht weiterkam, wählte
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