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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zurücktrat, wie um der Reaktion seines Gegenübers Raum zu schaffen.
    Beta-Rüde unterwirft sich Alpha-Rüden, schoß es Brunetti durch den Kopf, während er rückwärts schlich, bis er hinter dem brusthohen Empfangstresen notdürftig Deckung fand. Sollte Patta nachher hier vorbeikommen, bliebe ihm immer noch die Möglichkeit, entweder ganz abzutauchen oder aber sich seinem Vorgesetzten zu zeigen. In dem Fall konnte er nach ein paar zwanglosen Schritten den Flur entlang kehrtmachen und aufrichtiges Erstaunen darüber heucheln, den Vice-Questore zu dieser frühen Stunde hier anzutreffen.
    Der andere Mann, dessen massige Gestalt nach wie vor größtenteils von Pattas Rücken verdeckt wurde, vollführte gerade mit beiden Händen eine Geste, die sowohl Unmut als auch Überraschung ausdrücken mochte, und deutete dann mehrmals wütend auf die geschlossene Tür zu Pedrollis Zimmer. Patta reagierte darauf abwechselnd mit eifrigem Nicken und Kopfschütteln, wie einer dieser Wackelhunde auf der Hutablage eines Autos, das über ein holpriges Pflaster rollt.
    Plötzlich drehte der andere Mann sich abrupt um, ließ Patta stehen und strebte mit großen Schritten dem entgegengesetzten Ausgang zu. Alles, was Brunetti zu sehen bekam, bevor er erneut hinter dem Tresen in Deckung ging, war der Rücken des Mannes: ein Nacken, fast ebenso bullig wie der Kopf mit dem kurzen, weißen Stoppelhaar, und darunter ein Körper, annähernd so breit wie lang, in edles, gedecktes Tuch gewandet. Als Brunetti wieder aus seinem Versteck vorlugte, sah er, daß Patta keine Anstalten machte, dem Mann zu folgen. Der hatte unterdessen die Tür am anderen Ende des Korridors erreicht und stieß den rechten Flügel so heftig auf, daß der Knall, mit dem er gegen die Wand schlug, weithin widerhallte.
    Im ersten Moment reizte es Brunetti, sich Patta, Überraschung heuchelnd, in den Weg zu stellen. Aber die Vernunft behielt die Oberhand und trieb ihn in die entgegengesetzte Richtung, einen Seitengang hinunter und durch eine weitere Flügeltür ins Treppenhaus. Hier verharrte er volle fünf Minuten, und als er danach in die Neurologie zurückkehrte, war Patta spurlos verschwunden.

9
    B runetti spazierte im Gang vor Pedrollis Zimmer auf und ab, während er darauf wartete, daß Signora Marcolini herauskäme und er wieder in die Rolle des teilnahmsvollen Zuhörers schlüpfen könne. Er tastete in seiner Jackentasche nach dem telefonino, doch das hatte er offenbar zu Hause vergessen. Zu dumm! Er durfte Signora Marcolini nicht verpassen, hätte aber doch gern Paola angerufen und ihr Bescheid gesagt, daß er nicht zum Mittagessen daheim sei und auch nicht wisse, wann sie mit ihm rechnen könne.
    Der Commissario setzte sich auf einen der Plastikstühle und starrte ins Leere, achtete allerdings darauf, den Kopf aufrecht zu halten und sich nicht von der Wand hinter ihm in Versuchung führen zu lassen. Kaum eine Minute später sprang er schon wieder auf, tigerte bis ans Ende des Flurs und studierte dort an einem Aushang erst die Evakuierungsvorschriften für den Brandfall, dann die Liste mit den Namen der Ärzte, die auf dieser Station arbeiteten. Nach ein paar Minuten kam Gina durch die Tür hinter dem Empfangsschalter.
    »Verzeihen Sie, Schwester Gina, dürfte ich kurz Ihr Telefon benutzen?«
    Sie rang sich ein schmallippiges Lächeln ab und sagte: »Sie müssen die Neun vorwählen.« Brunetti griff nach dem Telefon auf dem Tresen und wählte seine Privatnummer.
    »Sì?« hörte er Paolas Stimme.
    Brunetti konnte nicht widerstehen. »Na, noch zu müde zum Reden?« fragte er.
    »Was du wieder denkst!« wehrte sie ab. »Aber wo steckst du eigentlich?«
    »Immer noch im Krankenhaus.«
    »Probleme?«
    »Wie es aussieht, haben sich die Carabinieri bei einer Festnahme zu sehr ins Zeug gelegt, und nun liegt der Mann hier in der Neurologie. Er ist selber Arzt, also wird man sich zumindest gut um ihn kümmern.«
    »Die Carabinieri sind auf einen Arzt losgegangen?« fragte Paola hörbar schockiert.
    »Das habe ich nicht gesagt«, versetzte er einschränkend, obwohl sie die Situation genau erfaßt hatte. »Sagen wir, sie haben überreagiert.«
    »Und was soll das heißen? Daß sie zu schnell gefahren sind, als sie den Mann ins Krankenhaus brachten? Oder zu viel Lärm gemacht und die Nachbarn gestört haben, als sie seine Tür eintraten?«
    Eigentlich teilte Brunetti Paolas Zweifel am Sachverstand der Carabinieri, mochte sich aber in seinem Koffein-und-Zucker-Rausch auf keine

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