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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Mutter des Kindes.«
    Erst zögerte Signora Marcolini, doch dann gab sie sich einen Ruck und erwiderte mit verkniffenen Lippen: »Nein. Über die hat er nichts gesagt.« Brunetti kam es vor, als ob sie im Laufe ihres Gesprächs gealtert wäre: Die Fältchen, die zuvor nur an ihrem Hals sichtbar gewesen waren, schienen langsam über die Mundwinkel bis zur Augenpartie hochzukriechen.
    »Verstehe«, sagte der Commissario. »Und Sie haben auch später nichts Näheres erfahren?« Irgend etwas, dachte er, mußte der Ehemann ihr doch erzählt haben, denn sie hatte bestimmt Aufklärung verlangt.
    Ihre Augen waren nicht grau, stellte Brunetti fest, sondern von einem hellen Grün. »Nein«, sagte sie und neigte wieder den Kopf nach unten. »Gustavo und ich, wir haben nie darüber gesprochen: weil ich das nicht wollte. Und er dachte, die Wahrheit würde mich zu sehr belasten. Er hat gesagt, er wünsche sich, daß ich das Baby von Anfang an als unseres ansehe, und ...« Hier brach sie ab, und Brunetti hatte das Gefühl, sie habe gewaltsam einen letzten entscheidenden Satz unterdrückt.
    »Natürlich«, murmelte der Commissario, als feststand, daß sie den Satz nicht beenden würde. Er zögerte, die Befragung fortzusetzen, weil nicht abzuschätzen war, wieviel er ihr noch würde entlocken können, und er darüber hinaus das Vertrauen, das sie allmählich zu ihm gefaßt hatte, nicht aufs Spiel setzen wollte, indem er mehr Neugier als Anteilnahme verriet.
    Die Tür zu Pedrollis Krankenzimmer öffnete sich, und Sandra winkte Signora Marcolini.
    »Ihr Mann ist schrecklich unruhig, Signora. Wenn Sie vielleicht einmal kommen und mit ihm sprechen.« Die Schwester war offenkundig besorgt, und Signora Marcolini eilte unverzüglich hinüber zu ihr und schloß die Tür hinter ihnen beiden.
    Da sie vermutlich eine ganze Weile bei ihrem Mann bleiben würde, beschloß Brunetti, die Zeit zu nutzen und sich bei Dottor Damasco nach Pedrollis Zustand zu erkundigen. Den Weg zum Bürotrakt kannte er. Dort angelangt, bog er in den Gang ein, an dem die Ärztezimmer lagen.
    Während er an der Tür mit Damascos Namensschild klopfte, erklärte ihm ein vorbeikommender Pfleger, der Dottore sei noch bei der Visite, begebe sich danach aber immer gleich in sein Büro. Als er hinzufügte, das könne höchstens noch zehn Minuten dauern, sagte Brunetti, er werde warten. Sobald der Pfleger sich entfernt hatte, nahm er auf einem der ihm inzwischen schon vertrauten, unbequemen orangefarbenen Stühle Platz. Da er nichts zu lesen dabeihatte, stützte Brunetti den Kopf gegen die Wand und machte sich - zur besseren Konzentration mit geschlossenen Augen - daran, die Fragen zu sortieren, die er Dottor Damasco stellen wollte.
    »Signore? Signore?« drang es an sein Ohr. Brunetti riß die Augen auf, und vor ihm stand der Pfleger von vorhin. »Ist Ihnen nicht gut, Signore?« erkundigte sich der junge Mann.
    »Doch, doch«, versicherte Brunetti und stemmte sich hoch. Schlagartig war er wieder voll da. »Ist der Dottore jetzt zu sprechen?« fragte er.
    Der Pfleger lächelte verlegen. »Tut mir leid, Signore, aber der ist schon weg. Ist gleich nach der Visite nach Hause gegangen. Ich wußte nichts davon, aber als ich's hörte, bin ich gleich hergelaufen, um Ihnen Bescheid zu sagen. Tut mir leid«, wiederholte er, als ob es seine Schuld wäre, daß Dottor Damasco das Krankenhaus verlassen hatte.
    Ein Blick zur Uhr belehrte Brunetti, daß über eine halbe Stunde vergangen war. »Schon gut«, sagte er und fühlte sich auf einmal todmüde. Wie schön wäre es, wenn er wie Dottor Damasco einfach seine Visite beenden und heimgehen könnte.
    Statt dessen tat er so, als wäre er hellwach, dankte dem jungen Mann und machte sich auf den Weg zurück zur Neurologie. Am Schwesternzimmer vorbei, näherte er sich der gläsernen Flügeltür, die zur Station führte. Und traute seinen Augen nicht, als er vor sich im Gang, nur ein paar Schritte von Pedrollis Zimmer entfernt, unzweifelhaft den Rücken seines Vorgesetzten, ViceQuestore Giuseppe Patta, erblickte. Brunetti erkannte ihn an den breiten Schultern im feinen Kaschmir und an seinem dichten, silbergrauen Haar.
    Was er bislang nicht kannte, war die devote Haltung, mit der Patta sich einem Mann entgegenneigte, von dem Brunetti nur die Umrisse wahrnahm, da ihm der Vice-Questore weitgehend die Sicht verstellte. Eben hob Patta die Rechte und wedelte damit beschwichtigend durch die Luft, bevor er die Hand sinken ließ und einen Schritt

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