Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
sah sie aus wie eine Erscheinung aus dem Regenwald: Ihre Seidenbluse war üppig mit Blattwerk und grellbunten Vögeln bedruckt, und unter ihrem Kragen lugte ein Paar winziger Affenbeinchen hervor. Ein Schal, so rot wie ein Pavianhintern, unterstrich den tropischen Effekt.
    »Aber heute ist Dienstag«, stammelte Brunetti.
    Sie hob lächelnd die Hände: ein Eingeständnis menschlicher Schwäche. »Ich weiß, ich weiß, aber der Vice-Questore hat mich zu Hause angerufen und gesagt, er sei im Krankenhaus. Und weil er nicht wußte, wie lange er bleiben müsse, habe ich angeboten, mich in der Zwischenzeit ums Büro zu kümmern.«
    Dann erkundigte sie sich in einem Ton, aus dem Brunetti ehrliche Besorgnis heraushörte: »Ihm fehlt doch nichts, oder?«
    Nun lächelte auch Brunetti. »Ach, Signorina, auf diese Frage zu antworten, verbieten mir Anstand und Taktgefühl.«
    »Ja, natürlich«, sagte sie. »Ich muß wohl auf diesen entzückenden Ausdruck zurückgreifen, mit dem amerikanische Politiker sich aus der Schlinge ziehen, wenn sie bei einer Unwahrheit ertappt werden: I misspoke.« Obwohl ihre Aussprache tadellos war, klang das Wort in Brunettis Ohren abscheulich. »Eigentlich«, fuhr sie fort, »wollte ich nur fragen, warum der Vice-Questore aus dem Krankenhaus angerufen hat.«
    »Dort gewesen ist er«, bestätigte Brunetti. »Vor einer Stunde habe ich ihn mit eigenen Augen gesehen, und zwar vor dem Zimmer eines gewissen Dottor Pedrolli: ein Kinderarzt, der verletzt wurde, als die Carabinieri sein Haus stürmten.«
    »Warum sollten die Carabinieri einen Kinderarzt verhaften wollen?« fragte Signorina Elettra, und der Commissario beobachtete an ihrem Mienenspiel, wie sie mit verschiedenen Möglichkeiten jonglierte.
    »Offenbar hatten er und seine Frau vor anderthalb Jahren einen kleinen Jungen adoptiert, allerdings illegal«, erklärte Brunetti. »Letzte Nacht nun haben die Carabinieri in mehreren Städten Razzien durchgeführt - ein lang geplanter Schlag gegen den organisierten Babyhandel. Was das Kind der Pedrollis angeht, so müssen sie einen Tip bekommen haben.« Noch im Sprechen wurde Brunetti bewußt, daß nicht Marvilli - dem bei diesem Thema sichtlich mulmig geworden war - ihm diese Information gegeben hatte, sondern daß er selbst es sich aus den widerstrebenden Äußerungen des Capitanos so zusammengereimt hatte.
    »Und was ist mit dem Kleinen?« wollte Signorina Elettra wissen.
    »Den haben sie leider weggebracht.«
    »Bitte? Wer hat ihn weggebracht?«
    »Die Carabinieri«, antwortete Brunetti. »Zumindest hat der, mit dem ich gesprochen habe, mir das gesagt.«
    »Aber wie kommen die dazu?« rief sie und forderte mit erhobener Stimme so energisch eine Erklärung, als ob Brunetti für das Schicksal des Kindes verantwortlich wäre. Als Brunetti die Antwort schuldig blieb, hakte sie nach: »Wo haben sie ihn denn hingebracht?«
    »In ein Waisenhaus«, war alles, was Brunetti darauf erwidern konnte. »Das ist offenbar so üblich für die Zeit, bis die leiblichen Eltern gefunden sind und das Gericht über den Verbleib des Kindes entschieden hat.«
    »Aber darum geht es mir doch gar nicht! Ich verstehe nicht, wie man nach über einem Jahr so ein Kind mir nichts, dir nichts aus der Familie herausreißen kann?«
    Und wieder sah Brunetti sich genötigt, etwas zu rechtfertigen, wofür es in seinen Augen keine Rechtfertigung gab. »Also der Doktor und seine Frau haben sich das Kind wohl nicht auf legalem Wege beschafft. Sie hat das mir gegenüber indirekt zugegeben. Die Carabinieri fahnden nun nach der Person, die diesen ... Handel eingefädelt hat. Der Hauptmann, mit dem ich gesprochen habe, sagte, sie sind hinter einem Mittelsmann her, der bei mehreren solcher Fälle seine Hände im Spiel hatte.« Daß Marvilli diesen Mittelsmann nicht mit den Pedrollis in Verbindung gebracht hatte, behielt Brunetti für sich.
    Signorina Elettra stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch, senkte den Kopf und verbarg ihr Gesicht in den Handflächen. »Daß man die Carabinieri als Witzfiguren hinstellt, daran bin ich von klein auf gewöhnt, aber für so dumm hätte ich sie nicht gehalten.«
    »Sie sind nicht dumm«, entgegnete Brunetti ebenso rasch wie halbherzig.
    Signorina Elettra nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn an. »Dann eben herzlos, was noch schlimmer ist.« Sie holte tief Luft und schlüpfte wieder in ihre amtliche Rolle. Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Und was machen wir jetzt?«
    »Pedrolli und seine Frau hatten sich

Weitere Kostenlose Bücher