Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
mehreren ortsansässigen Apothekern unter einer Decke steckten.
Ursprünglich hatte ein Informant - dessen Identität er nicht preisgeben wollte - Vianellos Neugier geweckt, als er vor einigen Wochen andeutete, es könne vielleicht interessant sein für den Ispettore, wie oft gewisse Apotheker von ihrem Vorrecht, Kunden an Fachärzte zu überweisen, Gebrauch machten und dabei immer einen der drei genannten auswählten. Vianello hatte Signorina Elettra ins Vertrauen gezogen und prompt mit seinem kriminalistischen Spürsinn angesteckt. Gemeinsam hatten sie so eine Art detektivisches Forschungsprojekt aufgezogen und wetteiferten nun miteinander, wer als erster herausbekäme, wodurch Vianellos Gewährsmann auf die Fährte dieser drei Ärzte gestoßen sein mochte.
Es war Signorina Elettras Schwester Barbara, selber Ärztin von Beruf, die schließlich Licht ins Dunkel brachte. Sie berichtete den beiden von einer bürokratischen Neuregelung, die den Apothekern Zugang zum Zentralcomputer des städtischen Gesundheitsamtes gewährte, damit sie selbständig Facharztuntersuchungen für ihre Klienten vereinbaren konnten, sofern deren Hausarzt dies grundsätzlich befürwortete. Dem Patienten wurden dadurch lange Wartezeiten erspart, denn er brauchte nun nicht mehr im Krankenhaus um einen Termin nachzusuchen, und dem Apotheker wurde sein Service mit einem kleinen Entgelt vergütet.
Signorina Elettra hatte, genau wie Vianello, sofort die Achillesferse in diesem System entdeckt: Ein rühriger Apotheker mußte lediglich einen oder besser noch mehrere Spezialisten gewinnen, die bereit waren, sich Phantompatienten überweisen zu lassen, und schon hatte er eine Goldgrube aufgetan. Und um wieviel leichter war es für besagten Apotheker, solch einen fiktiven Termin anzuberaumen, als durch einen einschlägigen Rezeptvermerk zu begründen, daß und warum die Untersuchung durch einen Spezialisten angezeigt sei. Die örtlichen Gesundheitsdienststellen - Unita Locali Socio Sanitarie, kurz ULSS - waren nicht eben berühmt für ihr Organisationstalent, weshalb kaum zu befürchten stand, daß man die Handschrift auf diesen Rezepten eingehend prüfen würde: Es reichte vollauf, wenn der Name des Patienten und seine Versicherungsnummer übereinstimmten. Da die Patienten ihre computerisierten Unterlagen fast nie zu Gesicht bekamen, war die Gefahr, daß ihnen die Scheintermine auffallen würden, gering. Folglich hatten auch die Behörden keine Veranlassung, die Arztgebühren oder das Entgelt des Apothekers für die Terminvereinbarung zu überprüfen. Das finanzielle Abkommen zwischen Apotheker und Mediziner unterlag mit Sicherheit strengster Geheimhaltung, doch durfte ein geschätztes Profitverhältnis von 25 zu 75 als realistisch gelten. Wenn eine Facharztkonsultation zwischen 150 und 200 Euro kostete, so durfte sich der Apotheker, dem es gelang, vier bis fünf Termine pro Woche zu vermitteln, ebenso glücklich schätzen wie die Ärzte, die ihr Einkommen steigern konnten, ohne das Arbeitspensum zu erhöhen.
Vermutlich war Vianello also heute vormittag wieder irgendwo in der Stadt unterwegs, um sich mit dem Gewährsmann zu treffen, der ihn als erster auf dieses einträgliche Arrangement hingewiesen hatte. Oder er hatte eine Verabredung mit einem seiner anderen Informanten, die ihn mit polizeidienlichen Hinweisen versorgten. Welche Gegenleistungen Vianello dafür erbrachte, wußte Brunetti nicht, und er kümmerte sich auch nicht darum. Schließlich wollte er ja auch nicht gefragt werden, wie er seine Quellen für ihre hilfreichen Tips entlohnte.
In der Gewißheit, daß Vianello ihn bei seiner Rückkehr schon einweihen würde, falls er zu neuen Erkenntnissen gelangt war, wählte Brunetti die Nummer der Neurologie und ließ sich mit Schwester Sandra verbinden.
»Hier spricht Commissario Brunetti, Signora«, sagte er, als die Schwester an den Apparat kam.
»Es geht ihm gut«, entgegnete sie unter Verzicht auf alle sonst üblichen Höflichkeiten; wohl um sich und Brunetti Zeit zu sparen.
»Spricht er wieder?«
»Mit mir nicht«, antwortete die Schwester. »Und soviel ich weiß, auch mit sonst niemandem vom Pflegepersonal.«
»Und was ist mit seiner Frau?«
»Das weiß ich nicht, Commissario. Sie ist vor einer halben Stunde nach Hause gegangen, wollte aber um die Mittagszeit zurück sein. Dottor Damasco hat vor etwa einer Stunde seinen Dienst angetreten. Er ist jetzt bei dem Patienten.«
»Wenn ich gleich vorbeikäme, könnte ich dann mit ihm
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