Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
sprechen?«
»Mit wem? Dottor Damasco oder Dottor Pedrolli?«
»Egal. Oder sagen wir, mit beiden.«
Schwester Sandra dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Der Carabiniere sitzt immer noch vor Dottor Pedrollis Zimmer. Außer seiner Frau und dem medizinischen Personal darf niemand rein zu ihm.«
»Wenn das so ist, dann möchte ich Dottor Damasco sprechen«, sagte Brunetti.
Nach einer langen Pause beschied ihn die Schwester: »Gut, aber beeilen Sie sich! Vielleicht läßt es sich doch einrichten, daß Sie mit beiden reden können.«
»Ich verstehe nicht?«
»Kommen Sie zum Empfangstresen. Falls ich nicht da bin, warten Sie auf mich. Ach, und in der Schublade rechts oben finden Sie ein Stethoskop.« Damit legte sie auf.
Brunetti verließ die Questura, ohne sich bei irgend jemandem abzumelden, ging zu Fuß zum Krankenhaus und begab sich unverzüglich zur neurologischen Station. Es war niemand am Empfang. Brunetti spürte einen Anflug von Nervosität, als er sich umblickte, um sicherzugehen, daß der Flur leer war. Dann schlüpfte er hinter den Tresen und zog die obere rechte Schublade auf. Er hängte sich das Stethoskop um, fischte zwei bedruckte Blätter aus dem Papierkorb, klemmte sie in ein Clipboard und trat, scheinbar ganz in seine Lektüre vertieft, wieder vor den Tresen.
Bald darauf stieß Sandra zu ihm, heute in schwarzen Jeans und schwarzen Turnschuhen. Als gleich hinter ihr eine weitere Schwester auftauchte, die Brunetti noch nicht kannte, rief Sandra mit lauter Stimme: »Ah, Dottore, schön, daß Sie kommen konnten. Dottor Damasco wird sich freuen.« Und zu der anderen Schwester: »Maria Grazia, bringst du Dottor Costantini bitte nach 307? Dottor Damasco erwartet ihn schon.«
Wollte Sandra selbst sich ganz aus ihrem kleinen Täuschungsmanöver heraushalten, um unbehelligt zu bleiben, falls etwas schiefgehen sollte? Doch dann fiel Brunetti ein, daß die Schwester sich mit ihrer Parteinahme für Dottor Pedrolli den Wachen wohl ohnehin schon verdächtig gemacht hatte.
Sein Augenmerk auf die Papiere gerichtet - Laborberichte, mit denen er nichts anfangen konnte -, folgte Brunetti der Schwester den Gang hinunter. Der Carabiniere, der vor Pedrollis Zimmer Posten bezogen hatte, nahm erst die Schwester, dann Brunetti ins Visier.
»Dottor Costantini«, sagte Maria Grazia und wies auf Brunetti. »Dottor Damasco hat ihn um eine Konsultation gebeten.«
Der Posten nickte und wandte sich wieder der Illustrierten zu, die er auf dem Schoß liegen hatte. Schwester Maria Grazia öffnete die Tür, meldete die Ankunft von Dottor Constantini und ließ Brunetti eintreten. Sie selbst blieb draußen und schloß hinter ihm die Tür.
Damasco nickte Brunetti zu. »Ach ja, Schwester Sandra hat mir gesagt, daß Sie uns sprechen wollten.« Dann wandte er sich an Pedrolli, der Brunetti wie gebannt ansah, und sagte: »Gustavo, das ist der Signore, der schon mal hier war. Ich habe dir von ihm erzählt.«
Pedrolli konzentrierte sich ganz auf Brunetti.
»Er ist Polizist, Gustavo. Auch das habe ich dir gesagt.«
Pedrolli hob die rechte Hand und strich sich an der Stelle über die Brust, wo bei Brunetti das Stethoskop hing. »Ja, die Carabinieri haben draußen eine Wache postiert. Die einzige Möglichkeit, den Commissario hier hereinzuschmuggeln, war die, ihn als Arzt auszugeben«, erklärte Damasco.
Pedrollis Gesicht entspannte sich. Obwohl sein Bart die hohlen Wangen kaschierte, hatte Brunetti den Eindruck, sie seien über Nacht noch stärker eingefallen. Er lag der Länge nach ausgestreckt auf dem Bett und trug über der Decke, die ihm bis zur Taille reichte, ein blau-weiß gestreiftes Pyjamaoberteil. Sein von Natur aus aschblondes Haar war, ebenso wie der Bart, zu gleichen Teilen graumeliert. Er hatte helle Augen und einen blassen Teint, wie man es oft bei Blondhaarigen findet. Eine blutunterlaufene Strieme verlief von seinem linken Ohr bis unter den Bart.
Brunetti wollte zunächst einmal abwarten, ob Pedrolli sich äußern würde oder könne. Als er das Clipboard auf dem Nachttisch ablegte, streifte sein Arm gegen das Stethoskop, und er kam sich albern vor, in dieser Maskerade.
Eine Minute verrann, ohne daß einer der drei etwas sagte. Endlich ergriff Dottor Damasco, hörbar verstimmt, das Wort: »Na schön, Gustavo. Wenn du darauf bestehst, dann spielen wir eben weiter Rätselraten.« An Brunetti gewandt, setzte er hinzu: »Wenn er einen Finger hebt, heißt die Antwort ›ja‹. Zwei bedeuten ›nein‹.«
Da
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