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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Übeln und versuchte herauszukriegen, was weniger riskant sei: den Carabinieri ihren allzu martialischen Einsatz vorzuwerfen, oder einen Sündenbock in den eigenen Reihen zu finden, der den Kopf dafür hinhielt, daß die Nachricht der Carabinieri nicht in der Questura angekommen war.
    »In Anbetracht dessen, was diesem Arzt widerfahren ist, möchte ich, daß Sie die Sache im Auge behalten und dafür sorgen, daß der Mann anständig behandelt wird. Damit nicht noch mehr Unheil geschieht.«
    »... das mir zum Verhängnis werden könnte«, war Brunetti versucht zu ergänzen. Doch er hielt an sich.
    »Selbstverständlich, Vice-Questore. Wäre es in Ihrem Sinne, wenn ich den Mann im Krankenhaus aufsuche? Vielleicht auch mit seiner Frau spreche?«
    »Ja, ja.« Patta nickte. »Was immer Sie wollen. Nur sorgen Sie dafür, daß diese Sache nicht aus dem Ruder läuft und wir keinen Ärger bekommen.«
    »Wird gemacht, Vice-Questore«, erwiderte Brunetti.
    Sobald er die Verantwortung erfolgreich auf andere Schultern abgewälzt hatte, wandte Patta sich wieder seinen Akten zu.
    »Ich halte Sie auf dem laufenden, Dottore«, versprach Brunetti und stand auf.
    Schon zu sehr in seine Amtsgeschäfte vertieft, um sich noch zu einer Antwort aufzuraffen, winkte Patta nur flüchtig, und Brunetti war entlassen.
    Da Paola es übernommen hatte, sich an seiner Statt über Bianca Marcolini zu informieren, war Brunetti frei für andere Recherchen. Er nahm all seinen Mut zusammen und ging hinunter in den Bereitschaftsraum, wo er sich an den Computer setzte und alle Kollegen durch die Leichtigkeit verblüffte, mit der er sich ins Internet einwählte. Und er vertippte sich nur ganze zwei Mal, als er dann den Begriff infertilità in eine Suchmaschine eingab.
    Gut eine Stunde lang stand Brunetti im Mittelpunkt eines Teams, das die uniformierte Truppe spontan gebildet hatte, um ihn bei seinen Nachforschungen zu unterstützen. Keiner der Jüngeren drängte ihn direkt beiseite, aber hin und wieder schob sich doch eine Hand unter die seine, um ein oder zwei Stichworte einzugeben. Gleichwohl verlor Brunetti nie ganz die Herrschaft über Tastatur und Maus. Und sein Beharren darauf, alles, was ihn interessierte, auszudrucken, vermittelte ihm den - wenn auch trügerischen - Eindruck, hier die gleiche Art von Recherche zu betreiben wie früher in der Unibibliothek.
    Erst als er fertig war und den dicken Papierstoß aus dem Drucker nahm, kamen ihm Zweifel: Alles war so schnell, ja buchstäblich im Handumdrehen gegangen, daß er keine Ahnung hatte, wie verläßlich das gesammelte Material war. Was machte eine Website glaubwürdiger als die andere? Und was, um Himmels willen, verbarg sich hinter »Il Centro per le Ricerche sull'Uomo«? Oder dem »Istituto per la Demografia«? Bei seinem Wissensstand konnte er nicht ausschließen, daß die Online-Quellen, die er konsultiert hatte, von der katholischen Kirche oder der SchierlingstrankGesellschaft gespeist wurden.
    Brunetti hatte sich längst damit abgefunden, daß die meisten in Büchern, Zeitungen und Magazinen veröffentlichten Erkenntnisse die Wahrheit nur näherungsweise wiedergaben und stets von der Rechts- beziehungsweise Linkslastigkeit ihrer Verfasser beeinflußt waren. Aber immerhin wußte er um die Vorurteile der meisten Journalisten und hatte sich im Lauf der Jahre eine aggressive Lesart antrainiert, die es ihm ermöglichte, fast immer einen brauchbaren Kern - die Illusion von einer allgemeingültigen Wahrheit hatte er längst aufgegeben - aus seiner Lektüre herauszufiltern. Beim Internet hingegen waren ihm die Zusammenhänge so fremd, daß er allen Quellen die gleiche Bedeutung beimaß. Und ohne den inneren Kompaß, mit dem er sich in den vertrauten Gewässern journalistischer Fabulierkunst zurechtzufinden gelernt hatte, war er der Flut potentieller Internetlügen und -fälschungen womöglich hilflos ausgeliefert.
    Doch als er sich wenig später in seinem Büro an die Lektüre der ausgedruckten Texte machte, war zwischen den verschiedenen Webseiten eine verblüffende Übereinstimmung festzustellen. Ungeachtet geringfügiger Abweichungen in Zahlen und Prozentsätzen wurde mehrheitlich ein signifikanter Geburtenrückgang in den meisten westlichen Ländern konstatiert, zumindest unter deren einheimischer Bevölkerung. Um den Nachwuchs der Immigranten war es besser bestellt. Brunetti wußte, daß es politisch korrektere Formulierungen gab für dieses grundlegende statistische Faktum: »kulturbedingte

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