Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
atemlos. »In der Apotheke am Campo Sant'Angelo.«
»Bei einem von deinen Apothekern?« fragte Brunetti mit unverhohlenem Interesse.
Vianello nickte, doch bevor Brunetti weiterfragen konnte, sagte er: »Wir überprüfen immer noch die Bankbelege.«
»Ein Einbruch, und was weiter?« forschte Brunetti. Ob da jemand versucht hatte, Beweismittel zu vernichten? Oder wollte man denen, die sich so auffällig für die Apotheke interessierten, Sand in die Augen streuen?
»Es war eine Frau am Telefon, wahrscheinlich die Apothekenhelferin. Sie sagte, sie habe gleich, als sie die Tür aufschloß, gesehen, was los war. Daraufhin sei sie gar nicht erst reingegangen, sondern habe sofort uns alarmiert.«
»Aber was passiert ist, hat sie nicht gesagt?« Brunetti klang spürbar gereizt.
»Nein. Ich hab Foa gebeten, uns rüberzufahren. Das Boot wartet schon.« Als Brunetti hinter seinem Schreibtisch sitzen blieb, drängte Vianello: »Wir sollten uns beeilen. Damit uns niemand zuvorkommt.«
»Ein erstaunlicher Zufall, findest du nicht?« fragte Brunetti.
»Also ich weiß nicht, was es ist, aber an Zufall glaubst du wohl genausowenig wie ich«, antwortete Vianello.
Brunetti schaute auf die Uhr und sah, daß es fast zehn war. »Wieso kam die Apothekenhelferin erst jetzt? Hätten die nicht schon vor einer Stunde öffnen müssen?«
»Davon hat sie nichts gesagt, und wenn doch, hat Riverre es mir nicht weitergegeben. Er war am Telefon. Ich weiß nur, daß eine Frau angerufen und den Einbruch gemeldet hat.«
Vianellos wachsende Ungeduld bewog Brunetti endlich doch, seinen Platz zu verlassen und sich zur Tür zu begeben. »Also gut. Schauen wir uns die Sache einmal an.«
Foa wählte die kürzeste Route, die über den Rio San Maurizio zum Campo Sant'Angelo führte. Brunetti und Vianello überquerten den Platz und steuerten auf die Apotheke zu. Das Tageslicht, das von draußen hereinfiel, hob die Werbeposter in den beiden Schaufenstern hinlänglich hervor, auch wenn im Ladenraum offenbar kein Licht brannte. Brunettis Blick traf auf ein paar straffe, gebräunte weibliche Oberschenkel, die sich dem Betrachter als Beweis dafür präsentierten, wie leicht Cellulitis binnen Wochenfrist zu besiegen sei. Gleich daneben posierte ein weißhaariges Paar Hand in Hand und sehnsuchtsvoll Aug in Aug an einem Zuckerwattestrand; hinter ihnen lockte ein tropisches Meer, im Sand vor ihnen ein Arthritismittel.
»Ist das der einzige Eingang?« Brunetti wies auf die unversehrte Glastür zwischen den Fenstern.
»Nein, das Personal benutzt einen zweiten in der calle auf der Rückseite«, antwortete Vianello. Dann führte der Inspektor, der seltsam vertraut schien mit den Örtlichkeiten, Brunetti links um die Ecke in eine Gasse, die beim Teatro La Fenice mündete.
Als sie sich dem ersten Eingang rechter Hand näherten, trat eine Frau ungefähr in Brunettis Alter aus der Tür und fragte: »Sind Sie von der Polizei?«
»Sì, Signora«, bestätigte Brunetti. Dann stellte er sich und Vianello vor. Sie sah aus wie Hunderte venezianischer Frauen ihres Alters. Das kurzgeschnittene Haar war korallenrot gefärbt; die überschüssigen Pfunde, die sich vor allem am Rumpf abgelagert hatten, verstand sie klugerweise mit einer Kastenjacke aus Veloursleder über dazu passendem beigem T-Shirt zu kaschieren. Unter dem knielangen Rock kamen wohlgeformte Waden zum Vorschein, und sie trug braune Pumps mit niedrigem Absatz. Ihr Gesicht zeigte noch einen Anflug von Sommerbräune; außer einem hellen Lippenstift und blauem Lidschatten hatte sie kaum Make-up aufgelegt.
»Mein Name ist Eleonora Invernizzi. Ich arbeite bei Dottor Franchi.« Und wie um zu verhindern, daß man sie für eine ausgebildete Apothekerin hielt, ergänzte sie: »Als Verkäuferin.« Ihr Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her, aber sie reichte keinem die Hand.
»Könnten Sie uns schildern, was passiert ist, Signora?« fragte Brunetti. Sie standen vor einer geschlossenen Holztür, vermutlich dem Hintereingang zur Apotheke, aber Brunetti schien es nicht eilig zu haben, sich Zutritt zu verschaffen.
Die Frau schob den Riemen ihrer Schultertasche höher hinauf und zeigte auf das Schloß. Der Schaden war nicht zu übersehen: Jemand hatte die Tür mit so brachialer Gewalt aufgestemmt, daß das Holz geborsten war. Die Splitter, die aus den ausgefransten Rändern des Schlüssellochs ragten, ließen vermuten, daß das Tatwerkzeug, wahrscheinlich ein Brecheisen, mehrere Male abgerutscht war, bevor
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