Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
hier versuchter Mord.
Brunetti hörte Schritte hinter sich und nahm an, es sei Vianello. Auf einem Metallteil, das von der Rückwand des Rechners abgeknickt war, hatte er einen verschmierten roten Fleck bemerkt und bückte sich, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Ja, das war Blut! Offenbar hatte man beim hastigen Versuch, es wegzuwischen, eine schmale Spur übersehen, die in die Fuge zwischen Rückwand und Rahmen gesickert war und dort in einen dunkleren Fleck mündete. Auf dem weißen Umschlag eines Buches, das dicht daneben lag, fand sich noch ein einzelner roter Tropfen mit lauter purpurnen Spritzern ringsum.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?« donnerte eine zornige Männerstimme hinter ihm.
Brunetti sprang hoch und wandte sich nach dem Sprecher um.
Der Mann war kleiner als er und kräftiger gebaut; besonders Brustkorb und Arme wirkten so durchtrainiert, als sei er an schwere körperliche Arbeit gewöhnt oder vielleicht ein ausdauernder Schwimmer. Sein Haar, das die Farbe von Aprikosen hatte, war über der Stirn stark gelichtet. Er hatte helle, grünliche Augen, eine schmale Nase, und an seinem verkniffenen Mund konnte man ablesen, wie wütend Brunettis beharrliches Schweigen ihn machte.
»Ich bin Commissario Guido Brunetti«, sagte Brunetti endlich.
Der Mann war sichtlich verblüfft. Und es kostete ihn Mühe, den Ärger aus seiner Miene zu tilgen und durch einen milderen Ausdruck zu ersetzen.
»Sind Sie der Eigentümer?« fragte Brunetti freundlich.
»Ja«, bestätigte der andere und streckte, nun schon merklich zuvorkommender, die Hand aus. »Mauro Franchi.«
Brunetti verpaßte dem Apotheker absichtlich einen besonders markigen Händedruck. »Signora Invernizzi hat den Einbruch in der Questura gemeldet, und da mein Kollege und ich bereits in der Gegend waren, wurden wir mit dem Fall betraut«, erklärte Brunetti eine Spur gereizt, so als hätte ein Commissario eigentlich Besseres zu tun, als den Tatort eines gewöhnlichen Einbruchs zu inspizieren. Brunetti wußte selbst nicht, was ihn veranlaßte, die Anwesenheit eines ranghohen Kriminalisten herunterzuspielen, aber er wollte verhüten, daß Dottor Franchi Verdacht schöpfte.
»Wie lange sind Sie schon hier?« erkundigte sich Franchi, eine Frage, die eigentlich Brunetti hätte stellen sollen.
»Erst seit ein paar Minuten«, antwortete Brunetti. »Aber es reicht, um zu sehen, was hier angerichtet wurde.«
»Schon das dritte Mal!« entgegnete Franchi zu Brunettis Erstaunen. »Als Geschäftsmann ist man in dieser Stadt nicht mehr sicher.«
»Das dritte Mal, was?« fragte Brunetti, ohne auf Franchis weiteren Kommentar einzugehen. Doch bevor der Apotheker antworten konnte, näherten sich Schritte vom Ladenlokal her.
Franchi fuhr herum, und als Vianello, dicht gefolgt von Signora Invernizzi, im Türrahmen erschien, übernahm Brunetti die Vorstellung. »Das ist mein Kollege, Inspektor Vianello.«
Franchi nickte Vianello zu, bot ihm aber nicht die Hand. Statt dessen schlängelte er sich an ihm vorbei zu Signora Invernizzi hin, die im Korridor stehengeblieben war. Auf einen Wink Brunettis trat Vianello zu ihm in die Kammer, wo Brunetti ihm den Blutfleck am Rechner und die Spritzer auf dem Buchumschlag zeigte.
Vianello ließ sich auf ein Knie nieder und wandte den Kopf bedächtig von links nach rechts, bis er plötzlich die Hand ausstreckte und rief: »Da ist noch was!« Jetzt sah auch Brunetti die roten Sprenkel auf der dunklen Fliese. »Also falls wir die Genehmigung kriegen, könnten wir einen DNA-Abgleich machen lassen«, sagte Vianello zögernd, so als sehe er wenig Hoffnung, daß man den aufwendigen Test für einen solchen Bagatellfall bewilligen würde. Oder vielleicht zweifelte er auch nur an der Chance, den Täter jemals dingfest zu machen.
Gleich darauf hörten sie den Apotheker und seine Verkäuferin leise tuschelnd ins Ladenlokal zurückkehren. Einmal hob Franchi die Stimme, und Brunetti meinte zu hören: »Meine Mutter wird bestimmt nicht ...«
»Hat die Invernizzi noch was gesagt?« fragte er.
»Nur, was für eine Heidenarbeit es sein wird, hier alles wieder sauberzumachen und aufzuräumen«, antwortete Vianello. »Ach ja, und dann hat sie noch die Versicherung erwähnt und wie aussichtslos es sei, von denen was ersetzt zu kriegen. Sie fing an, mir die Geschichte von der Tochter einer Freundin zu erzählen, die vor zehn Jahren vom Rad gestoßen wurde und bis heute keinen Schadenersatz bekommen hat.«
»Bist du deshalb
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