Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
es genügend Halt fand, um das Schloß zu knacken.
Signora Invernizzi sagte: »Ich habe dem Dottore nicht ein-, ich hab's ihm hundertmal gesagt, daß dieses Schloß eine Einladung ist für jeden Dieb! Und jedesmal, wenn ich davon anfange, verspricht er, daß er's auswechseln läßt gegen eine porta blindata, doch dann wird's wieder nichts, und ich muß ihn aufs neue ermahnen, aber er ist einfach unbelehrbar.« Sie zeigte auf das Gitter vor dem Fensterchen in der Tür. »Einen der Stäbe hab ich angefaßt, als ich die Tür aufstieß«, sagte sie. »Sonst habe ich nichts berührt. Ich bin nicht mal über die Schwelle gegangen, sondern habe nur einen Blick reingeworfen und dann gleich die Polizei verständigt.«
»Das war sehr umsichtig von Ihnen, Signora«, lobte Vianello.
Brunetti trat vor bis zur Tür und umfaßte den Gitterstab, auf dem sich laut Aussage der Frau bereits ihre Fingerabdrücke befanden. Ein leichter Stoß, schon öffnete sich die Tür nach innen und schwang zurück, bis sie mit einem dumpfen Geräusch gegen die Flurwand prallte.
Brunetti spähte in einen engen Korridor, an dessen Ende, über einem offenen Durchgang, eine rote Notbeleuchtung flackerte. Erst als er den Blick senkte, sah er, warum Signora Invernizzi die Polizei gerufen hatte. Über gut einen Meter weit war der Boden vor der Tür am anderen Ende des Gangs mit einer Flut von Schachteln, Flaschen und Ampullen übersät, die allesamt zertrampelt, zerschmettert, platt getreten waren. Brunetti machte ein paar Schritte bis knapp an den Rand dieses Trümmerfelds. Mit der Spitze seines rechten Schuhs räumte er gerade so viel beiseite, daß er gefahrlos einen Fuß auf den Boden setzen konnte; den Vorgang wiederholte er mehrmals, bis er sich Schritt für Schritt zu der zweiten Tür vorgearbeitet hatte, von wo der Korridor nach rechts, ins Ladenlokal der Apotheke führte.
Brunetti überquerte den Flur und gelangte durch die Tür auf der anderen Seite ins Labor, wo das Durcheinander sich zur Katastrophe steigerte. Zwischen bedrohlich wirkenden dunkelbraunen Glassplittern lagen die Keramikscherben zertrümmerter Apothekergefäße. Auf einem Bruchstück wand sich eine Girlande aus Rosenknospen um die drei Buchstaben »ium«. Ausgelaufene Flüssigkeiten und diverse Pulver hatten sich zu einem zähen Brei vermengt, der entfernt nach faulen Eiern roch, überlagert von einem beißenden Aroma, das auf Franzbranntwein zurückgehen mochte. Eine ätzende Tinktur, die an einem Medikamentenschrank heruntergelaufen war, hatte dessen Plastikverkleidung zerfressen und üble Dämpfe ausgelöst. Auf dem Fußboden vor dem Schrank hatte sie gewütet wie ein Krebsgeschwür, hatte die Linoleumplatten durchlöchert und den Betonboden darunter freigelegt. Zwei Mörser standen noch auf den Regalen, alle anderen Gefäße waren heruntergefegt worden und bis auf ein einziges am Boden zerschellt. Als Brunetti instinktiv den Kopf reckte, um sich dem beißenden Geruch zu entziehen, fiel sein Blick auf den gekreuzigten Heiland, der sein Haupt ebenfalls von dem Gestank abkehrte.
Irgendwo im Hintergrund hörte er Vianello seinen Namen rufen und landete, der Stimme des Inspektors folgend, im Verkaufsraum der Apotheke. Vielleicht um von draußen nicht gesehen zu werden, hatte der Einbrecher sein vandalistisches Treiben hier hauptsächlich auf das Areal hinter dem Ladentisch beschränkt, das am weitesten von den Fenstern entfernt war. Sämtliche Regale hinter der Theke waren leer gefegt, die Schubfächer aus den Konsolen gerissen und zu Boden geworfen; Flaschen und Kartons hatte man erst wahllos verstreut und war dann offenbar darauf herumgetrampelt. Zuoberst lagen die Kasse und ein Computerbildschirm. Wie die Zunge eines hechelnden Hundes hing die Kassenlade halb aus dem umgekippten Gehäuse und hatte Münzen sowie kleinere Geldscheine ausgespieen.
»Mamma mia!« rief Vianello aus. »So was hab ich noch nie gesehen. Nicht mal der Typ, der ins Haus seiner Exfrau eingedrungen ist, hat so viel Schaden angerichtet.«
»Ja, aber dem hatte sich auch der neue Ehemann in den Weg gestellt«, erinnerte ihn Brunetti.
»Stimmt, das hatte ich vergessen. Trotzdem war das kein Vergleich zu dem hier.« Und wie zum Beweis deutete Vianello auf den Haufen von zerschellten Ampullen und aufgerissenen Schachteln hinter dem Ladentisch, die ihnen bis über die Knöchel reichten.
Ein Geräusch hinter ihnen ließ die beiden herumfahren. Doch es war nur Signora Invernizzi, die, ihre Tasche vor die
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