Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
rübergekommen?« fragte Brunetti schmunzelnd.
Vianello zuckte mit den Schultern. »Sie hat mich damit gelöchert, ob sie die übrigen Angestellten anrufen und zum Aufräumen herbestellen soll.«
»Wie viele sind es denn?«
»Außer dem Eigentümer noch zwei Apotheker und die Putzfrau.«
»Laß uns mal hören, wie Franchi entschieden hat«, schlug Brunetti vor und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sagte: »Ach, und ruf Bocchese an, ja? Er soll die Spurensicherung herschicken.«
»Wegen des Computers?« fragte Vianello.
»Falls darauf die Arzttermine der Kunden gespeichert waren, sollten wir ihn mitnehmen, denke ich.«
Im Ladenraum standen Franchi und Signora Invernizzi jenseits des Tresens, im Kundenbereich. Der Apotheker wies mit erhobener Hand auf die Konsole, aus der alle Schubfächer herausgerissen waren.
»Soll ich Donatella anrufen, Dottore? Oder Gianmaria?« hörte Brunetti die Frau fragen.
»Ja, machen Sie das. Wir müssen entscheiden, was mit den Medikamenten geschehen soll.«
»Wollen wir nicht versuchen, etwas davon zu retten?«
»Doch, wenn das möglich ist. Alles, was nicht aufgerissen oder zertrampelt wurde. Von den übrigen Artikeln machen Sie eine Liste für die Versicherung.« Franchis müder Blick erinnerte an Sisyphos im Angesicht seines Felsens.
»Glauben Sie, es waren wieder dieselben, Dottore?« erkundigte sich Signora Invernizzi.
Bevor er Antwort gab, schielte Franchi zu Brunetti und Vianello hinüber. »Das wird hoffentlich die Polizei herausfinden, Eleonora.« Und wie um seinen spöttischen Ton abzumildern, setzte er hinzu: »Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
»Sie sagten vorhin: ›Zum dritten Mal‹, Dottore«, versetzte Brunetti, ohne auf den frommen Spruch einzugehen. »Soll das heißen, so was ist schon zweimal vorgekommen?«
»Nicht in dieser Form.« Franchi wies mit der Hand auf das Schlachtfeld ringsumher. »Aber wir sind zweimal beraubt worden. Zuerst ein nächtlicher Einbruch, bei dem sich die Diebe mit Stoff eingedeckt haben. Das zweite Mal kamen sie am hellichten Tag. Junkies. Einer von ihnen hatte die Hand in einer Plastiktüte und behauptete, da wäre eine Waffe drin. Also haben wir ihm gegeben, was in der Kasse war.«
»Das Beste, was Sie tun konnten«, warf Vianello ein.
»Wir wollten diese armen Kerle auch gar nicht verfolgen«, fuhr Franchi fort. »Das Geld kann man verschmerzen, solange nur niemand zu Schaden kommt.« Konnte es sein, daß Signora Invernizzi ihm bei diesen letzten Worten einen sonderbaren Blick zuwarf?
»Sie glauben also, es handelt sich hier wieder um Diebstahl?« fragte Brunetti.
»Ja, was denn sonst?« gab Franchi ungehalten zurück.
»War nur so eine Frage«, beschwichtigte Brunetti, der nicht die Absicht hatte, das hier und jetzt zu vertiefen.
Der Apotheker warf die Hände in die Luft und sagte mit Duldermiene: »Va bene.« An Signora Invernizzi gewandt, fügte er hinzu: »Ich glaube wirklich, wir sollten die anderen herholen. Sie können ja schon mal hier drinnen anfangen.« Im Weiterreden zählte er an den Fingern die nächsten Schritte ab. »Ich mache Meldung bei der ULSS und bei der Versicherung. Dann, sobald die Schadensliste fertig ist, können wir Nachschub ordern, und ich kümmere mich darum, daß wir morgen früh einen neuen Computer kriegen.« Der resignierte Ton, den er anschlug, konnte seinen unterschwelligen Zorn nicht überdecken.
Der Apotheker trat an den Ladentisch, beugte sich vor und wollte zum Telefon greifen, doch der Hörer war abgerissen. Da stieß Franchi sich von der Theke ab, umrundete sie und steuerte auf den Flur zu. »Ich telefoniere von meinem Büro aus«, rief er über die Schulter zurück.
»Verzeihen Sie, Dottore«, ging Brunetti mit lauter Stimme dazwischen. »Aber Sie können jetzt leider nicht in Ihr Büro.«
»Was kann ich nicht?« Franchi wirbelte herum und starrte Brunetti entgeistert an.
Der Commissario trat zu ihm in den Korridor und erklärte: »Dort drin befindet sich Beweismaterial, und bevor wir das nicht sichergestellt haben, darf niemand hinein.«
»Aber ich muß dringend telefonieren.«
Brunetti zog sein telefonino aus der Jackentasche und reichte es dem Apotheker. »Hier, Dottore, nehmen Sie.«
»Aber mein Telefonverzeichnis ist auch im Büro.«
»Tut mir leid.« Brunetti lächelte, wie um anzudeuten, er sei nicht minder ein Opfer der Vorschriften als der Apotheker. »Wählen Sie doch die zwölf, da wird man Ihnen sicher die gewünschten
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