Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
und fragte, aufs heimische Sofa zurückgekehrt: »So?«
»Es betrifft Bianca Marcolini.«
»Ah, wie lieb von dir«, sagte er.
»Ich habe mich ein bißchen umgehört. Ihr Name ist den meisten natürlich schon durch den Vater bekannt.«
Brunetti nickte.
»Nach dem alten Marcolini habe ich mich übrigens auch erkundigt, und zwar bei meinem Vater. Ich sagte dir doch, daß er ihn kennt, nicht wahr?«
Brunetti nickte wieder. »Und?« forschte er.
»Und papà meint, einen wie Marcolini dürfe man nicht unterschätzen. Der Mann hat sein Vermögen ganz aus eigener Kraft verdient.« Paola machte eine Pause, bevor sie hinzufügte: »Für gewisse Leute hat so ein Aufstieg immer noch was Berauschendes.« Derart verächtlich konnte das nur ein Sproß aus altem Geldadel kommentieren.
»Papà sagt, er hat überall Freunde: im Stadtrat, im Regionalrat, sogar in Rom. In den letzten paar Jahren hat er jede Menge Wählerstimmen auf sich vereinigt.«
»Demnach wäre es ein leichtes für ihn, irgendwelche unliebsamen Berichterstattungen zu unterdrücken?«
Paola nickte bekräftigend. »Kinderspiel!« Eine Wortwahl, die Brunetti seltsam berührte.
»Und die Ehe seiner Tochter?«
»Traumhochzeit: ›Die Chiesa dei Miracoli ein Blütenmeer‹ - das übliche Tamtam. Sie ist Finanzberaterin bei einer Bank, er stellvertretender Leiter der Kinderstation im Ospedale Civile.«
Nichts von alledem schien die Erregung zu rechtfertigen, die in ihrer Stimme mitschwang. Brunetti wußte aus Erfahrung, daß sie sich das Beste bis zum Schluß aufzusparen pflegte. »Und die inoffiziellen Nachrichten?« fragte er.
»Betreffen natürlich das Baby!« antwortete sie, und Brunetti spürte, daß sie endlich in ihrem Element war.
»Natürlich«, wiederholte er lächelnd.
»Im Freundeskreis munkelte man, er hätte eine kurze Affäre gehabt - nicht mal das, nur ein kleines Abenteuer -, als er an einem Medizinerkongreß in Cosenza teilnahm. Ich habe mit mehreren Leuten aus ihrem Bekanntenkreis gesprochen und bekam jedes Mal die gleiche Geschichte aufgetischt.«
»Hat dich dein Vater darauf gebracht?«
»Nein!« beteuerte sie vehement. Offenbar konnte sie es nicht fassen, daß er ihrem Vater zutraute, sich an ordinärem Klatsch zu beteiligen. Doch dann lenkte sie ein und erklärte: »Ich habe mich heute nachmittag mit meiner Mutter getroffen und mich bei ihr nach den Marcolinis erkundigt.« Paolas unbändige Neugier war ein mütterliches Erbteil: Genauso würden die Smaragde der Contessa eines Tages in ihren Besitz übergehen.
»Ist das jetzt die offizielle Lesart?« fragte Brunetti.
Paola mußte eine Weile überlegen, bevor sie antwortete: »Die Geschichte klingt plausibel, und die Leute hielten sie offenbar für wahr. Schließlich ist es doch das, was man glauben möchte, nicht? Die reinste Kintoppschnulze: Gestrauchelter Ehemann kehrt reumütig an den heimischen Herd zurück, und die leidgeprüfte Gattin vergibt ihm. Nicht nur das, nein, sie ist sogar bereit, den kleinen Kuckuck ins Nest zu holen und großzuziehen. Herzerwärmende Versöhnung, Wiedergeburt der Liebe: Rhett Buttler und Scarlett O'Hara auf ewig vereint.« Paola hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Kommt mit Sicherheit besser als die Version: Betuchtes Paar sondiert einschlägigen Markt und bringt gegen Bares ein Baby mit nach Hause.«
»Dein Sarkasmus ist unübertroffen, cara.« Brunetti griff nach Paolas Hand und küßte ihr die Fingerspitzen.
Sie zog die Hand zurück, allerdings mit einem Lächeln, und sagte: »Ich danke dir, Guido.« Dann fuhr sie, wieder ernst geworden, fort: »Also zunächst einmal nahm man ihnen die Geschichte ab, und sei's nur, weil die Leute daran glauben wollten. Die Gamberinis sind mit den Pedrollis bekannt, und Gabi hat mir erzählt, daß sie, ein halbes Jahr nachdem die Pedrollis das Baby zu sich genommen hatten, dort zum Essen eingeladen waren. Na ja, strenggenommen hat er ja das Kind ins Haus gebracht, und Gabi meint auch, daß es wohl nicht so rosig weitergegangen ist, nach der Versöhnung.«
»Du hast wirklich eine Schwäche für Klatsch, nicht wahr?« fragte er und wünschte, sie hätte ihm ein Glas Wein gebracht.
Paola stutzte, überlegte kurz und bekannte dann, selber überrascht: »Ja, kann schon sein. Ob ich deshalb so gern Romane lese?«
»Wahrscheinlich«, sagte er, kam aber gleich wieder aufs Thema zurück: »Inwiefern nicht so rosig?«
»So direkt hat sich Gabi dazu nicht geäußert. Tut ja selten einer. Aber aus dem, was oder
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