Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
am Ende recht behält.
»Hat lange gedauert, aber es hat sich gelohnt.« Mit diesen Worten trat Vianello an den Schreibtisch und legte Brunetti einige Papiere vor.
Brunetti kniff die Augen zusammen und hob fragend das Kinn.
»Signorina Elettras Freund«, erklärte Vianello.
Sie hatte bekanntlich viele Freunde, und Brunetti konnte sich nicht erinnern, wer davon gerade ihre unrechtmäßigen Aktivitäten unterstützte. »Welcher Freund?«
»Der Hacker«, half Vianello ihm auf die Sprünge. Brunetti staunte, wie leicht ihm das »h« von der Zunge ging. »Der, dem wir die Festplatte gegeben haben.« Und Brunettis besorgter Frage zuvorkommend, setzte er hinzu: »Ja, ja, ich hab sie Dottor Franchi gleich am nächsten Tag zurückgebracht. Aber da hatte Elettras Spezialist schon alles, was drauf war, kopiert.«
»Ach, der Freund!« Brunetti griff nach den Papieren. »Und? Was hatte Franchi denn nun auf seinem Computer?«
»Keine Kinderpornos und kein Internet Shopping, das mal vorab«, antwortete Vianello, ohne daß sein Tigerhaigrinsen verblaßt wäre.
»Aber?« hakte Brunetti nach.
»Aber er hat es anscheinend geschafft, sich ins Computersystem der ULSS einzuklinken.«
»Ja, muß er denn da nicht rein, um seine Terminvereinbarungen zu treffen?« fragte Brunetti. »Genau wie die anderen Apotheker auch?«
»Schon«, gab der Inspektor zu und nahm sich einen Stuhl. »Er macht es so und seine Kollegen ebenfalls.« Vianellos Ton drängte Brunetti förmlich dazu weiterzufragen.
Er tat ihm den Gefallen. »Und was macht Dottor Franchi noch, wenn er im ULSS-System zugange ist?«
»Also der Freund von Signorina Elettra meint, daß er einen Weg gefunden hat, das Login der Gesundheitsbehörde zu umgehen.«
»Und was heißt das nun wieder?«
»Dadurch verschafft er sich Zugang zu anderen Bereichen ihres Netzwerks«, sagte Vianello und sah Brunetti so erwartungsvoll an, als müsse der gleich aufspringen und »Heureka!« rufen.
Zwar befürchtete Brunetti, er könne durch sein Geständnis in Vianellos Achtung sinken, aber er wußte auch, daß jeder Versuch, sich hier durchzumogeln, zwecklos war. Also gab er sich einen Ruck und bat: »Ich glaube, das erklärst du mir lieber, Lorenzo.«
Jener tapfere kleine Spartaner, der keine Miene verzog, als ihm der Fuchs, den er unter seinem Gewand versteckt hielt, die Eingeweide anknabberte, hätte sich in diesem Moment nur schwer gegen Vianello behaupten können. »Wenn es ihm gelingt, die Login-Kontrolle zu überlisten, dann kommt er in den Zentralcomputer rein und hat Zugriff auf die Krankenakten aller Personen, von denen er die ULSS-Nummer weiß.«
»Seine Kunden?«
»Genau!«
Brunetti stützte den Ellbogen auf den Schreibtisch und rieb sich ein paarmal mit der Hand über den Mund, während er die Tragweite des eben Gehörten überdachte. Der Zugriff auf diese Akten bedeutete Zugang zu allen Informationen über Befunde, Klinikaufenthalte, geheilte Krankheiten und solche, die noch behandelt wurden. Damit konnte ein Unbefugter weit in die Privatsphäre anderer Menschen vordringen.
»Aids«, sagte Brunetti. Und setzte nach langer Pause hinzu: »Drogentherapie. Methadonprogramm.«
»Geschlechtskrankheiten«, soufflierte Vianello.
»Abtreibungen«, ergänzte Brunetti. »Dank dieser Manipulation«, fuhr er fort, »weiß Franchi, ob seine Kunden verheiratet sind, wie es um ihr Familienleben bestellt ist, wo sie arbeiten, mit wem sie befreundet sind.«
»Der freundliche Hausapotheker, der einen schon von klein auf kennt«, warf Vianello spöttisch ein.
»Wie viele?« fragte Brunetti.
»Schätzungsweise dreißig seiner Kunden hat er auf diese Weise ausspioniert.« Vianello hielt kurz inne, damit Brunetti die Bedeutung dieser schändlichen Tat ermessen konnte. »Die jeweiligen Akten hat Elettras Freund uns für morgen zugesagt.«
Brunetti stieß einen leisen Pfiff aus, bevor er auf den Punkt zu sprechen kam, der sie ursprünglich auf Franchis Fährte gesetzt hatte. »Und die Arzttermine?«
»Über hundert hat er in den letzten zwei Jahren vermittelt.« Noch ehe Brunetti sein Erstaunen über diese Zahl äußern konnte, gab Vianello zu bedenken: »Das ist nur einer pro Woche, wohlgemerkt.«
Brunetti nickte. »Dieser Freund von Signorina Elettra ... hat der auch einen Namen?« fragte er.
»Nein«, erwiderte Vianello lakonisch.
»Habt ihr nachgeprüft, wie viele dieser Termine auch tatsächlich wahrgenommen wurden?«
»Die endgültige Aufstellung hat Elettra erst heute morgen von
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