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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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geschrumpft war? Jedenfalls bückte er sich tiefer als beim letzten Mal, als er sie jetzt auf beide Wangen küsste, bevor er ihre Rechte ergriff und zwischen seinen Händen hielt, während sie miteinander sprachen.
    Sie stellte ihre Fragen nach den Kindern, und er beantwortete sie so gewissenhaft, wie er das seit der Geburt der beiden zu tun pflegte: Sie aßen tüchtig, lernten fleißig, waren wohlauf und wuchsen kräftig. Ob Luciana über die Erderwärmung Bescheid wusste? Und wenn ja: Machte sie sich Sorgen deswegen?
    »Die Contessa erwartet Sie schon«, sagte Luciana, und es klang, als warte die Gräfin auf Weihnachten. Gleich darauf aber wandte Luciana sich wieder den wirklich wichtigen Themen zu: »Und die Kinder, sind sie wirklich beide gute Esser?«
    »Und ob, Luciana! Wenn sie noch mehr Appetit hätten, müsste ich eine Hypothek aufnehmen, und Paola wäre gezwungen, Privatstunden zu geben«, beteuerte Brunetti. Dann lieferte er ihr eine so übertriebene Aufzählung all dessen, was die Kinder an einem Tag verdrücken konnten, dass Luciana sich vor Lachen die Hand vor den Mund hielt.
    Immer noch kichernd geleitete sie ihn über den Hof und in den Palazzo. Brunetti sorgte dafür, dass seine Liste bis hinauf in den Korridor reichte, der zum Arbeitszimmer der Contessa führte. Hier blieb Luciana stehen. »So, jetzt muss ich mich wieder ums Mittagessen kümmern. Aber ich wollte mich doch vergewissern, dass alles in Ordnung ist bei Ihnen.« Zum Abschied tätschelte sie seinen Arm, bevor sie in Richtung Küchentrakt verschwand.
    Brunetti brauchte jedes Mal sehr lange, um diesen Flur abzuschreiten, weil er sich an Goyas Radierungen über die Schrecknisse des Krieges nicht sattsehen konnte: Der Leichnam des Exekutierten, zusammengesunken vor dem Pfahl, an den man ihn gefesselt hatte; Kindergesichter, auf denen sich blankes Entsetzen malte; die Priester, die mit ihren langen, nackten Hälsen aussahen wie aufgescheuchte, fluchtbereite Geier. Wie war es möglich, dass solch grausamen Szenen so viel Schönheit innewohnte?
    Er klopfte und hörte von drinnen Schritte. Als die Tür aufging, blickte Brunetti abermals auf eine Frau herab, die scheinbar über Nacht kleiner geworden war.
    Sie küssten sich zur Begrüßung. Offenbar sah man Brunetti seine Verwunderung an, denn die Contessa sagte unvermittelt: »Keine Angst, Guido, es sind nur die flachen Schuhe, kein Fall von Altersschrumpfung. Wenigstens noch nicht.«
    Brunetti schaute auf ihre Füße und sah, dass die Contessa zu seidig schimmernden, schwarzen Designerjeans und rotem Pullover tatsächlich Sportschuhe trug, noch dazu solche mit fluoreszierenden Silberstreifen an den Seiten, wie sie auf der Via XXII Marzo im Ausverkauf verramscht wurden. Sie kam seiner Frage zuvor: »Ich habe mich offenbar bei einer Dehnübung in meiner Yogaklasse übernommen und mir eine Sehnenentzündung eingehandelt. Nun muss ich zur Strafe Kinderschuhe tragen und darf eine Woche lang kein Yoga machen.« Mit einem verschwörerischen Lächeln setzte sie hinzu: »Ehrlich gesagt bin ich fast froh um eine kleine Auszeit von all dieser Konzentration und der positiven Energie. Mitunter ist das so anstrengend, dass ich's kaum erwarten kann, mich zu Hause bei einer Tasse Tee zu erholen. Meiner Seele tun diese Übungen bestimmt sehr gut, aber wäre es nicht viel einfacher, bequem hier zu sitzen und in den Werken der heiligen Teresa von Avila zu lesen?«
    »Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«, fragte Brunetti und deutete auf ihren Fuß. Auf eine Diskussion über die Seele seiner Schwiegermutter wollte er sich im Moment lieber nicht einlassen.
    »Nein, nein, überhaupt nicht! Aber danke der Nachfrage, Guido«, sagte sie und führte ihn zu der Sitzgruppe mit Blick auf den Canal Grande. Sie humpelte nicht, ging aber langsamer als sonst. Von hinten wirkte sie, trotz der grauen Haare, wie eine wesentlich jüngere Frau - wohl nicht zuletzt dank ihrer Figur und vitalen Ausstrahlung. Seines Wissens hatte die Contessa sich nie einer Schönheitsoperation unterzogen - und wenn doch, dann war sie in den allerbesten Händen gewesen, denn die feinen Fältchen um ihre Augen unterstrichen nicht das Alter, sondern den Charakter ihres Gesichts.
    Bevor sie Platz nahmen, fragte die Contessa: »Möchtest du etwas trinken? Kaffee vielleicht?« »Nein, vielen Dank.«
    Sie bedrängte ihn nicht weiter, sondern klopfte einladend auf das Sofa - seinen Lieblingsplatz wegen der Aussicht -, bevor sie sich in einem der

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