Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
den geistlichen Stand.« Nach einer langen Pause setzte sie hinzu: »Außerdem glaube ich nicht, dass Gott von ihren Diensten profitiert.«
»Das scheint mir ein sehr hartes Urteil«, bemerkte Brunetti.
»Ach ja?« Die Contessa klang ehrlich verblüfft. »Sicher gibt es ein paar sehr nette und anständige Priester. Aber den Klerus als solchen sollte man, denke ich, tunlichst meiden.« Bevor Brunetti etwas einwerfen konnte, fuhr sie fort: »Außer natürlich, man wird durch gesellschaftliche Zwänge mit ihnen konfrontiert. In dem Fall gehört es sich wohl, sie zuvorkommend zu behandeln.« Brunetti, der mit ihren eigenwilligen Pausen vertraut war, wartete geduldig. »Ich glaube, es ist ihr Geltungsdrang, der mich so gegen sie aufbringt. Er verdirbt die Seele.«
»Würdest du so auch über einen Mann wie Leonardo Mutti urteilen?« Brunetti, der nie sicher war, wie er die Meinungsäußerungen der Contessa zu deuten hatte, fragte sich, ob das eben Gehörte womöglich der lange Auftakt zu irgendeiner Enthüllung über den Prediger sei.
Sie maß ihn mit einem raschen, prüfenden Blick. »Den Namen habe ich schon mal gehört. Ich muss mich nur darauf besinnen, von wem. Sowie es mir wieder einfällt, sage ich dir Bescheid.« »Gibt es irgendeinen Weg, wie du ...?«
»Wie ich meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte?« »Ja.«
»Ich werde mich bei Freunden umhören, die zu derlei Gemeinschaften tendieren.« »Im Rahmen der Kirche?«
Ihre Antwort ließ lange auf sich warten. »Nein, ich dachte eher an - ja, wie soll ich's nennen, Guido? Die kirchliche Peripherie? Abseits vom Mainstream? Du hast diesem Mutti keinen Titel gegeben und auch keine Pfarrgemeinde genannt, der er angehört. Daraus schließe ich, dass er irgendwo am Rande, in einer Grauzone, operiert. Ein Vertreter der ...« Wieder folgte eine lange Pause, die sie mit der Frage beendete: »Religion light?«
Nach all ihren kritischen Äußerungen überraschte diese Formulierung Brunetti nicht mehr. »Hast du denn Freunde, die in diesem Dunstkreis verkehren?«
Die Contessa zuckte kaum merklich die Schultern. »Ich kenne etliche Leute, die sich für diesen Weg zu ... zu Gott interessieren.« »Du scheinst da skeptisch zu sein«, bemerkte Brunetti. »Ach Guido, ich bin der Ansicht, dass die Gefahr von Ausrutschern - um es einmal schonend zu formulieren sprunghaft ansteigt, sobald man sich von den etablierten Kirchen entfernt. Die haben immerhin noch einen Ruf zu verlieren, weshalb sie sich gegenseitig in Schach halten und die schlimmsten Auswüchse zu verhüten suchen, und sei es nur aus Eigennutz.« »Und um nicht die Pferde scheu zu machen?«, fragte er. »Ich rede nicht von Verstößen gegen das Zölibat oder dergleichen, Guido«, versetzte sie tadelnd, »sondern von Betrug. Wenn eine Organisation, die als Religionsverband auftritt, erst gar kein Ansehen zu verspielen und auch kein Interesse mehr daran hat, sich den Glauben und das Wohlwollen ihrer Anhänger zu erhalten, dann ist das wie die Büchse der Pandora. Leider durchschauen das die wenigsten. Aber du weißt ja selbst, wie unbedarft die Menschen sind.«
Die Frage rutschte ihm einfach so heraus: »Hat das, was du mir da gerade erzählt hast, irgendeinen Einfluss auf deinen und Orazios Umgang mit dem Klerus?« Und um seine unverblümte Neugier abzumildern, setzte Brunetti hinzu: »Immerhin pflegt ihr doch gesellschaftliche Kontakte zur Kirche, und Orazio hat vermutlich auch geschäftlich mit ihr zu tun?« über die Quelle des Reichtums seiner Schwiegereltern hatte Brunetti in all den Jahren kaum etwas in Erfahrung gebracht. Er wusste, dass sie Häuser und Wohnungen besaßen sowie Pachtverträge für diverse Läden hier in der Stadt und dass der Conte häufig zur Inspektion von Konzernen und Fabriken ins Ausland berufen wurde. Ob aber auch die Kirche bei seinen finanziellen Transaktionen eine Rolle spielte, entzog sich seiner Kenntnis.
In den Zügen der Contessa malte sich jene gespielte Verwirrung, die er nur zu gut kannte. Allerdings hatte er sie noch nie dabei ertappt, wie sie diesen Ausdruck herstellte: so leicht und mühelos, als ob sie frischen Lippenstift auftragen würde. »Orazio predigt mir, seit wir uns kennen, dass Macht über Reichtum triumphiert«, versetzte die Contessa lächelnd. »Und ehrlich gesagt waren die Männer in meiner Familie seit jeher der gleichen Auffassung.« Wieder dieses verbindliche, aber fast ausdruckslose Lächeln: Wo hatte sie das nur gelernt? »Darum bin ich
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