Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
ausladenden Sessel niederließ, wo ihre zierliche Gestalt beinahe zwischen den hohen Armlehnen verschwand. »Du wolltest dich mit mir über Religion unterhalten?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Brunetti, »gewissermaßen.« »Ich höre?«
»Heute Morgen war jemand bei mir, der sich große Sorgen um einen jungen Mann macht, von dem er glaubt, er sei einem windigen Prediger, einem gewissen Leonardo Mutti aus Umbrien, auf den Leim gegangen - das sind wohlgemerkt seine Worte, nicht meine.«
Die Contessa hatte sich mit den Ellbogen auf die Armlehnen ihres Sessels gestützt; ihr Kinn ruhte auf den ineinander verschränkten Fingern.
»Mein Besucher hält diesen Prediger für einen Schwindler, dem es nur darum geht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, eben auch besagtem jungen Mann. Der ist angeblich drauf und dran, seine Wohnung zu verkaufen, um den Erlös dem Prediger auszuhändigen.«
Als die Contessa sich nicht dazu äußerte, fuhr Brunetti fort. »Da du dich mit Religion beschäftigst und« - er hielt inne, um die rechten Worte zu finden - »deinen Glauben praktizierst, dachte ich, du hättest vielleicht schon von diesem Prediger gehört.«
»Leonardo Mutti?«, fragte sie zurück. »Ja.«
»Darf ich fragen, was du mit der Geschichte zu tun hast?«, erkundigte sie sich höflich. »Und ob du einen der beiden kennst, den Prediger oder diesen jungen Mann?«
»Nein, ich kenne nur denjenigen, der mir den Fall geschildert hat. Ein Jugendfreund von Sergio. Der junge Mann und dieser Mutti waren mir bislang völlig unbekannt.« Sie nickte und drehte das Kinn zur Seite, als denke sie über das eben Gehörte nach. Endlich blickte sie ihren Schwiegersohn wieder an und fragte: »Du glaubst nicht, Guido, oder?« »An Gott?« »Ja.«
Alles, was Brunetti über die religiösen Überzeugungen der Contessa wusste, hatte er von Paola erfahren, und die hatte ihm eigentlich nur erzählt, dass ihre Mutter an Gott glaube und in ihrer, Paolas, Kindheit des Öfteren die Messe besucht habe. Warum sie selbst unter diesem Einfluss bestenfalls ein negatives Verhältnis zur Religion entwickelt hatte, erklärte Paola, wenn überhaupt, damit, dass sie »Glück und Grips« gehabt habe.
Da er das Thema noch nie mit der Contessa erörtert hatte, schickte Brunetti voraus: »Also, ich möchte dich nicht kränken.«
»Indem du dich als nicht gläubig bekennst?« »Ja.«
»Wie sollte mich das kränken, Guido, wo es doch eine ganz und gar vernünftige Einstellung ist.«
Als sie sah, wie sehr sie ihn verblüfft hatte, verzogen sich ihre Falten zu einem sanften Lächeln. »Weißt du, Guido, ich für mein Teil habe mich entschlossen, an Gott zu glauben.
Und zwar trotz stichhaltiger gegenteiliger Indizien und ohne den geringsten Beweis - oder jedenfalls das, was ein vernünftiger Mensch als Beweis akzeptieren würde - für die Existenz Gottes. Mir fällt es so leichter, das Leben zu bejahen, gewisse Entscheidungen zu fällen und Verluste zu ertragen. Aber das gilt nur für mich persönlich, weshalb mir die andere Option - die, nicht zu glauben - ebenso einleuchtet.«
»Ich weiß nicht, ob es eine Option ist«, wandte Brunetti em.
»Aber gewiss doch!«, bekräftigte sie mit dem gleichen nachsichtigen Lächeln - so als unterhielten sie sich über die Kinder und er hätte gerade eine von Chiaras schlauen Bemerkungen zitiert. »Wir sind beide mit denselben Beweisen oder Beweislücken konfrontiert, und indem jeder von uns sie auf eigene Weise auslegt, treffen wir selbstverständlich eine Wahl.«
»Und gehört zu deiner Wahl auch der Glaube an die Kirche?« Wohl wissend, dass die Faliers aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung oft mit hochrangigen Klerikern in Berührung kamen, konnte Brunetti sich diese Frage nicht verkneifen.
»Um Himmels willen! Wer der vertraut, müsste von allen guten Geistern verlassen sein.«
Brunetti lachte laut auf. Als er verwirrt den Kopf schüttelte, legte sie erst richtig los: »Schau sie dir doch an, Guido, in ihrem possierlichen Aufzug mit Mitra, langen Gewändern, Römerkragen und Rosenkranz - alles nur Effekthascherei! Trotzdem verschaffen sie sich damit beim einfachen Volk Respekt. Wenn die Klerikalen gekleidet wären wie unsereiner und sich die Achtung ihrer Gemeinde durch ihr Tun und Handeln verdienen müssten, dann würden viele von ihnen ihr Amt niederlegen und sich ihren Lebensunterhalt in einem ordentlichen Beruf verdienen. Ohne Status und Privilegien, da bin ich sicher, wäre es bald geschehen um
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