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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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liefen oder ihm entgegenkamen, hatte er das dumpfe Gefühl, beschattet zu werden. Hin und wieder blieb er stehen und musterte das Warenangebot in den sich ständig vermehrenden Kiosken am Ufer: Fußballwimpel, Strohhüte, wie sie die gondolieri tragen, samtene Narrenkappen, Aschenbecher - einer aus Capri - und die allgegenwärtigen Plastikgondeln. Er hielt vor jeder neuen Scheußlichkeit inne und fuhr seine Antennen aus. Während er die Plastikgondel auf die Theke zurückstellte, fuhr er herum und überflog mit einem Blick die wogende Menge hinter sich. Nirgends eine verräterische Bewegung. Einen Moment lang erwog er, ein Vaporetto zu nehmen und so den Verfolger abzuhängen. Doch dann triumphierte die Neugier, und er lief doch zu Fuß weiter, ja verlangsamte sogar seinen Schritt, damit wer immer - falls überhaupt jemand hinter ihm her war - ihn nicht aus den Augen verlor.
    Er überquerte den Markusplatz, ging die Via XXII Marzo hinunter, bog nach rechts ab und gelangte, am Ristorante Antico Martini vorbei, zum Teatro La Fenice. Das Gefühl, beobachtet zu werden, begleitete ihn hartnäckig, aber als er vor dem Opernhaus haltmachte und so tat, als bewundere er die Fassade, sah er weit und breit niemanden, den er zuvor schon hinter sich bemerkt hätte. Er überquerte den Platz und gelangte, vorbei am Ateneo Veneto, zum Haus der Fornaris. Brunetti läutete, nannte seinen Namen und wurde hinaufgebeten. Im obersten Stock empfing ihn Orsola Vivarini in der offenen Flurtür, und im ersten Moment glaubte er, eine ältere Ausgabe ihrer selbst vor sich zu haben.
    »Guten Morgen, Signora«, sagte er. »Ich hätte noch ein paar Fragen an Sie. Das heißt, natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Aber nein«, antwortete sie, eine Spur zu laut.
    Brunetti verbarg sein Erstaunen über ihre veränderte Erscheinung hinter einem verbindlichen Lächeln und folgte ihr in die Wohnung. Die Blumen, die auf einem Tisch rechts neben der Eingangstür gestanden hatten, waren noch da, doch das Wasser war verdunstet, und Brunetti stieg der erste schwache Verwesungsgeruch in die Nase.
    »Ist Ihr Gatte von seiner Reise zurück?«, fragte er, während sie ihn wieder ins Arbeitszimmer führte.
    »Ja, seit gestern. Darf ich Ihnen etwas anbieten, Commissario?«
    »Sehr freundlich, Signora. Vielen Dank, aber ich habe eben erst Kaffee getrunken.« Sie bot ihm einen Sessel an, doch da sie sich nicht hinsetzte, blieb auch er stehen.
    »Bitte, nehmen Sie doch Platz, Commissario. Ich gehe und hole meinen Mann.«
    Brunetti deutete eine Verbeugung an. Er stützte sich mit einer Hand auf die Sessellehne und dachte wieder einmal an seine Mutter, die ihm beigebracht hatte, dass ein Mann sich in Gegenwart einer Dame nicht setzen darf, solange sie steht.
    Als Signora Vivarini das Zimmer verlassen hatte, ging er und betrachtete das Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Ein Primo Potenza. Der Maler gehörte zu einem Kreis talentierter venezianischer Künstler, die sich in den fünfziger Jahren sehr gut verkauft hatten. Wo waren die wohl alle geblieben? Heute sah man in den Galerien nur noch Videoinstallationen und politische Statements in Pappmache.
    Das Bild war flankiert von zahlreichen Familienfotos, auf denen die Tochter als unangefochtener Star glänzte: Zu Pferde, auf Wasserskiern, zusammen mit ihrer Mutter vor einem Weihnachtsbaum. Auf diesen Fotos trug sie die Haare noch kurz. Bis zum nächsten waren offenbar Jahre vergangen, und wieder war Sommer. Ihr Haar hatte die jetzige Länge, sie stand auf einem Pier und hatte den Arm um einen hoch aufgeschossenen, schlaksigen Jungen gelegt. Beide trugen Badekleidung und strahlten um die Wette. Das dichte Haar des Jungen war fast so blond wie ihres, allerdings mit einem deutlichen Stich ins Rötliche. Der derzeitigen Mode entsprechend, hatte er an Oberarmen und Waden Tätowierungen, die an Stammeszeichen irgendwelcher Südseeinsulaner erinnerten. Brunetti, dem der Junge vage bekannt vorkam, schloss auf eine Familienähnlichkeit und hielt ihn für den Bruder. Auf den nächsten beiden Fotos fehlte das Mädchen. Einmal stand Signora Vivarini, mit dem Rücken zur Kamera, vor einem riesigen abstrakten Gemälde, das Brunetti nicht kannte, und hatte den Arm um die Schulter eines Jungen gelegt, der vermutlich derselbe war wie auf dem Foto mit ihrer Tochter. Das letzte Bild, auf dem sie heiter in die Kamera lächelte, zeigte sie Hand in Hand mit einem Mann mit freundlichen Augen und einem weichen Zug um den

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