Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
dem Gegenüber verbindet, und nutze es, um das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Oder vielmehr, um von unerwünschten Themen abzulenken.
Während Fornari weitersprach, erwog Brunetti die Möglichkeit, dass seine Tochter etwas wusste, was ihr Vater vor ihm, Brunetti, geheim halten wollte. Obwohl er nur mit halbem Ohr hinhörte, nickte er Fornari zu, der gerade einen Satz mit »Einmal, als Matteo noch klein war ...« begann.
Unvermittelt keimte in Brunetti die Versuchung auf, etwas zu tun, für das er sich verachten würde, ja das er eigentlich nie hatte tun wollen. Und wenn es doch einmal geschehen war, hatte er sich hinterher jedes Mal geschworen, es solle nie wieder vorkommen. Informanten gab es überall: Die Polizei hatte welche bei der Mafia eingeschleust; die der Mafia tummelten sich bis in die höchsten Ränge der Justiz; beim Militär wimmelte es ebenso von Spitzeln wie vermutlich in der Industrie. Aber bislang hatte noch niemand die Jugendlichen unterwandert und sie als zuverlässige Informationsquelle angezapft. Brunetti sah keine Gefahr für seine Kinder voraus, wenn er sie nach denen der Fornaris ausfragte, aber lag die eigentliche Gefahr nicht gerade im Unvorhergesehenen?
Als er sich wieder einklinkte, kam Fornari gerade ans Ende einer Anekdote über seine Kinder. Brunetti, der nicht wusste, worum es ging, erhob sich lächelnd und streckte die Hand aus: »Darin sind sie sich wohl alle gleich«, sagte er. »Sie haben eben ganz andere Interessen als wir.« Nach Fornaris beifälliger Miene zu schließen, war das ein passender Kommentar zu seiner Geschichte.
Sie schüttelten einander die Hand, Brunetti bedankte sich bei Fornari für die Zeit, die er ihm geopfert habe, bat, diesen Dank auch seiner Frau auszurichten, und verließ die Wohnung. Auf der Treppe überlegte er, welches seiner Kinder er zum Spitzel machen und wie er mit Paola fertig werden würde, falls sie dahinter kam.
27
A ls er auf die calle hinaustrat, wandte Brunetti sich nach rechts und ging, eher gewohnheitsmäßig als vorsätzlich, denselben Weg zurück, den er gekommen war. Er war schon auf halber Höhe der Calle degli Avvocati, als er sich umentschied und doch lieber mit dem Vaporetto zur Questura zurückfahren wollte. Abrupt kehrtmachend sah er, wie links von ihm, in etwa zehn Meter Entfernung, ein flatterndes Etwas um die Ecke huschte und in der Calle Pesaro verschwand. Brunetti, der sich ja schon auf dem Herweg beschattet gefühlt hatte, ließ jetzt alle Vorsicht fahren und rannte, so schnell er konnte, ans Ende der Straße.
Als er um die Ecke sauste, sah er gerade noch, wie jemand, vielleicht eine Frau, auf der anderen Seite der Brücke hinunterlief und rechts in die Calle dell' Albergo einbog. Brunetti nahm die Verfolgung auf. Jenseits der Brücke warf er von der riva aus nur einen kurzen Blick in die calle zu seiner Rechten, denn er wusste, dass es eine Sackgasse war.
Er hörte fliehende Schritte und folgte ihnen. Die Häusermauern rechts und links rückten enger zusammen, je schmaler die Gasse wurde, und dann sah er vor sich das hohe Metalltor zu einem palazzo. Schon glaubte er, einer Einbildung aufgesessen zu sein, als er linker Hand ein Geräusch hörte. Langsam schlich er vorwärts und knöpfte sich im Gehen die Jacke auf, um seine Pistole griffbereit zu haben.
Und dann sah er es, in einem Hauseingang zur Linken. Auf den ersten Blick hätte man es für einen abgelegten Mantel halten können oder für einen Müllbeutel, über den jemand einen alten Pullover geworfen hatte. Aber als er näher trat, bewegte es sich, wich zurück und drückte sich noch fester gegen die Tür, bevor es sich lautlos an der Mauer entlang nach rechts tastete.
Brunetti war noch immer nicht klar, was für ein Wesen er da gestellt hatte. Als er sich bückte, um es näher in Augenschein zu nehmen, machte es einen Ausfall in seine Richtung und krachte gegen seine Beine. Instinktiv packte Brunetti zu, aber das flüchtige Etwas zappelte und strampelte so heftig, dass ihm war, als hielte er einen Aal oder ein wildes Tier in Händen.
Als es dann noch mit zwei dürren Beinen nach ihm trat, wusste er endlich, mit was für einer Spezies er es zu tun hatte. Er hob das zuckende Bündel hoch und drehte es so, dass die kickenden Beine nicht mehr in seine Richtung wiesen und weniger Schaden anrichten konnten. Dann umschloss er den Oberkörper fest mit beiden Armen, zog das Wesen an seine Brust und sprach ihm gut zu, so wie er es als Kind mit ihren
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