Brunetti 18 - Schöner Schein
Sydney, glaube ich.« Und ganz in Gedanken: »Aber das spielt keine Rolle.«
Sie nahm ihr Wasser, trank es halb aus und stellte das Glas wieder hin. »Sie hatte sich schon bei der Zahnoperation infiziert, und danach hatte sich die Entzündung weiter ins Gewebe ausgebreitet, in den Unterkiefer, überallhin. Furchtbar.« Die Contessa nahm beide Hände vors Gesicht, als könnte sie es so vor ihren eigenen Worten schützen.
»Die Arzte hatten keine Wahl. Sie konnten nur noch versuchen, zu retten, was zu retten war. Antibiotika halfen nichts, vielleicht waren die Erreger resistent, oder Franca war allergisch dagegen. Das weiß ich nicht mehr.« Die Contessa ließ die Hände sinken und sah Brunetti an. »Sie hat mir das vor Jahren einmal erzählt. Es war schrecklich, sie davon reden zu hören. Sie war so ein reizendes Mädchen. Vor dieser Sache. Aber es musste so viel getan werden, so viel zerstört werden, um sie zu retten.«
»Also das ist die Erklärung«, sagte Brunetti nachdenklich.
»Was hast du denn gedacht?«, fuhr ihn die Contessa an. »Dass sie so aussehen wolltet Um Gottes willen, glaubst du wirklich, irgendeine Frau will so etwas?«
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte Brunetti.
»Natürlich nicht. Und auch sonst weiß niemand davon.«
»Nur du.«
Sie nickte traurig. »Ja, nur ich. Als sie zurückkamen, sah sie so aus, wie sie jetzt aussieht. Sie rief an und wollte sich mit mir treffen, und ich war außer mir vor Freude. Wir hatten uns Monate nicht gesehen, und ich wusste nur, was Maurizio mir am Telefon erzählt hatte: dass sie sehr krank gewesen sei, aber nichts Genaues. Als sie anrief, erzählte Franca mir, sie habe einen schrecklichen Unfall gehabt, ich solle nicht erschrecken, wenn ich sie sehe.« Und nach einer Pause: »Immerhin hat sie versucht, mich darauf vorzubereiten. Aber wie kann man auf so etwas vorbereitet sein?«, fragte sie. Brunetti wusste keine Antwort.
Er spürte, die Contessa durchlebte das alles jetzt noch einmal. »Und ich war erschrocken, und ich konnte es nicht verbergen. Ich wusste, das hätte sie niemals freiwillig mit sich machen lassen. Sie war so ein hübsches Mädchen, Guido. Du hast keine Ahnung, wie schön sie war.«
Doch, er ahnte es: Das Foto in der Zeitschrift hatte ihm eine Vorstellung vermittelt.
»Ich bin in Tränen ausgebrochen. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach weinen. Und Franca musste mich trösten. Guido, stell dir das vor - sie kommt in diesem Zustand zurück, und dann bin ich es, die zusammenbricht.« Sie verstummte und kniff ein paar Mal die Augen zu, bis sie die Tränen zurückgedrängt hatte.
»Besser konnten die Chirurgen in Australien es nicht mehr machen. Die Infektion hatte sich schon zu lange hingezogen.«
Brunetti wandte den Blick zum Fenster und betrachtete die Gebäude auf der anderen Seite des Kanals. Als er die Contessa wieder ansah, liefen ihr Tränen über die Wangen. »Das tut mir leid, mamma«, sagte er, ohne sich bewusst zu sein, dass er sie zum ersten Mal so anredete.
Sie riss sich zusammen. »Mir auch, Guido, sie tut mir schrecklich leid.«
»Aber was hat sie dann getan?«
»Wie meinst du das? Was sie getan hat? Sie hat versucht, ihr Leben zu leben. Aber wie soll das gehen, wenn man so ein Gesicht hat und die Leute ständig darüber tuscheln?«
»Sie hat keinem etwas davon erzählt?«
Die Contessa schüttelte den Kopf. »Wie gesagt: Mir hat sie es erzählt, und sie hat mich gebeten, es nicht weiterzuerzählen. Und ich habe geschwiegen, bis heute. Nur Maurizio und ich wissen davon, und die Leute in Australien, die ihr das Leben gerettet haben.« Sie richtete sich seufzend auf.
»Denn auch das ist wahr, Guido: Diese Leute haben ihr das Leben gerettet.«
»Und was ist mit dem Zahnarzt?«, fragte er. »Wie ist der gestorben?«
»Es stellte sich heraus, dass er gar kein richtiger Zahnarzt war«, sagte sie, und Zorn schwang in ihrer Stimme mit. »Bloß einer von diesen Zahntechnikern, von denen man dauernd liest: Erst machen sie falsche Zähne, dann lassen sie sich als Zahnarzt nieder, bis sie erwischt werden; aber bestraft werden sie nie.« Ihre Hände verkrampften sich um die Sessellehnen.
»Man hat ihn nicht festgenommen?«
»Irgendwann schon«, sagte sie müde. »Einem zweiten Patienten ist dasselbe passiert. Der ist gestorben. Jetzt kamen Leute vom Gesundheitsamt und stellten fest, dass die ganze Praxis - die Instrumente, das Mobiliar - mit diesen gefährlichen Keimen verseucht war. Es ist ein Wunder, dass er nur
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