Brunetti 18 - Schöner Schein
ja«, sagte Brunetti, als habe er nicht wenige Stunden zuvor mit eigenen Augen gesehen, wie Franca Marinello einen Mann erschossen hatte. Da ihm nichts Besseres einfiel, sagte er plötzlich: »Danke, dass du mich ihr gegenübergesetzt hast. Ich habe ja sonst niemanden, mit dem ich über Bücher sprechen kann. Abgesehen von dir, meine ich.« Und um seiner Frau Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, fügte er hinzu: »Über Bücher, die mir gefallen.«
Die Contessa strahlte auf. »Genau das hat Orazio gesagt. Deswegen habe ich dich zu ihr gesetzt.« »Danke«, wiederholte er.
»Aber du bist wegen deiner Arbeit hier und nicht, um mit mir über Bücher zu reden, habe ich recht?«, fragte sie.
»Nein, es geht nicht um Bücher«, sagte er, obwohl das nicht ganz stimmte.
»Was willst du wissen?«, fragte sie.
»Alles, was du mir erzählen kannst«, sagte er. »Du kennst diesen Terrasini?« »Ja. Nein. Das heißt, ich habe ihn nie gesehen, und Franca hat nie von ihm erzählt. Aber andere Leute.«
»Und die haben behauptet, die beiden seien ein Liebespaar?«, fragte Brunetti, auch wenn er fürchtete, dafür sei es noch zu früh. Aber er musste es wissen.
»Ja, das haben sie behauptet.«
»Hast du es geglaubt?«
Sie sah ihn kühl und gelassen an. »Diese Frage möchte ich nicht beantworten, Guido«, sagte sie überraschend resolut. »Sie ist meine Freundin.«
Er dachte daran, wie sie vorhin geflüstert hatte, und fragte aufrichtig verwirrt: »Hast du eben etwas von einem Zahnarzt gesagt?«
Ihre Überraschung war echt. »Sie hat keinerlei Andeutung gemacht?«
»Nein. Ich weiß überhaupt nichts von ihr.
Oder von einem Zahnarzt.« Der zweite Teil stimmte.
»Der Zahnarzt, der das mit ihrem Gesicht gemacht hat«, sagte sie und verwirrte ihn damit noch mehr. Als er sie weiter fragend ansah, fuhr sie hitzig fort: »Ich könnte verstehen, wenn sie ihn erschossen hätte. Aber dazu kam sie gar nicht erst. Das hatte schon jemand anders getan.« Damit verstummte sie und schaute auf den Kanal hinaus.
Brunetti schob sich in seinem Sessel zurück und legte beide Hände flach auf die Armlehnen. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr.« Da sie nicht reagierte, bat er eindringlich: »Bitte, erklär mir das.«
Unwillkürlich nahm sie die gleiche Haltung ein wie er. Sie betrachtete sein Gesicht, als versuche sie zu einem Entschluss zu kommen, was und wie viel sie ihm erzählen könne. »Kurz nach ihrer Hochzeit mit Maurizio, den ich fast mein Leben lang kenne«, fing sie an, »machten die beiden Urlaubspläne - für die Hochzeitsreise, nehme ich an. Es sollte in die Tropen gehen, wohin genau, weiß ich nicht mehr. Eine Woche vor der Abreise bekam sie plötzlich Probleme mit ihren Weisheitszähnen. Ihr Zahnarzt war in Urlaub, und eine Bekannte von der Universität empfahl ihr jemanden in Dolo. Nein, nicht in Dolo, aber irgendwo da in der Gegend. Als sie den aufsuchte, erklärte er, beide Zähne müssten gezogen werden. Er sah sich die Röntgenaufnahmen an und meinte, das gehe problemlos, das könne er in seiner Praxis machen.«
Die Contessa sah ihn an und schloss für einen Moment die Augen. »Ein paar Tage später führte er die Operation durch, gab ihr Schmerztabletten und ein Antibiotikum mit, falls es zu einer Entzündung käme, und sagte, sie könne unbesorgt in drei Tagen ihren Urlaub antreten. Am Tag danach hatte sie Schmerzen, doch als sie ihn anrief, sagte er, das sei normal, sie solle das Schmerzmittel nehmen, das er ihr gegeben habe. Da es am nächsten Tag noch nicht besser war, fuhr sie zu ihm, aber er meinte nur, es sei alles in Ordnung, und gab ihr noch mehr Tabletten. Dann reisten sie ab. Wohin auch immer, irgendeine Insel.«
Sie schwieg sehr lange, bis Brunetti schließlich fragte: »Und was dann?«
»Die Entzündung blieb. Aber Franca war jung, und sie war verliebt - die beiden waren sehr verliebt, Guido, das weiß ich -, und da sie den Urlaub nicht ruinieren wollte, nahm sie weiter Schmerztabletten, und als es davon nicht besser wurde, nahm sie noch mehr Tabletten.«
Wieder schwieg sie, und diesmal wartete Brunetti, bis sie von selbst fortfuhr. »Nach fünf Tagen auf der Insel brach sie zusammen. Es gab dort zwar einen Arzt - aber von einer richtigen medizinischen Versorgung konnte nicht die Rede sein. Er sagte, sie habe eine Entzündung in der Mundhöhle, die könne er nicht behandeln; also charterte Maurizio ein Flugzeug und brachte sie nach Australien. Zum nächstgelegenen Ort, wo sie Hilfe bekommen konnte.
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