Brunetti 18 - Schöner Schein
haben?«
Natürlich hatte ihn das gewundert. »Nein, eigentlich nicht«, sagte Brunetti.
»Weil Donatella weiß, wie sehr es Franca fehlt, mit jemandem über die Bücher zu reden, die sie liest. Dir geht es auch so. Daher stimmte sie meiner Vermutung zu, dass es dir Freude machen würde, dich mit ihr zu unterhalten.«
»So war es auch.«
»Gut. Das wird Donatella freuen.«
»Und ihr?«, fragte Brunetti »Wer?«
»Signora Marinello. Hat es ihr Freude gemacht?«
Der Conte sah ihn seltsam an, als überrasche ihn sowohl die steife Anrede als auch die Frage selbst, sagte aber nur: »Keine Ahnung.« Offenbar wollte er nicht weiter über eine Lebende reden, denn er wies jetzt wieder auf das Bild und sagte: »Aber wir haben von Schönheit gesprochen. Jemand muss doch diese Frau für schön genug gehalten haben, dass er sie gemalt oder ein Porträt von ihr in Auftrag gegeben hat, oder?«
Brunetti dachte darüber nach und sagte schließlich zögernd: »Ja.«
»Also wird auch jemand, vielleicht Franca selbst, es schön finden, was sie mit ihrem Gesicht gemacht hat«, sagte der Conte und fuhr in sachlichem Tonfall fort: »Wie ich höre, gibt es noch jemanden, der das schön findet. Du weißt ja, wie es in dieser Stadt zugeht, Guido: Es gibt ständig Gerede.«
»Du meinst Gerede von einem anderen Mann?«
Der Conte nickte. »Donatella deutete neulich so etwas an, aber als ich Näheres wissen wollte, merkte sie, dass sie sich verplappert hatte, und sagte gar nichts mehr.« Er konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Ich nehme an, so etwas hast du bei Paola auch schon erlebt.«
»Nein, habe ich nicht«, sagte Brunetti. Nach kurzem Nachdenken fragte er: »Was hast du sonst noch gehört?«
»Nichts. Das sind nicht gerade die Dinge, über die man mit mir spricht.«
Brunetti hatte genug von dem Thema; um das Gespräch über Franca Marinello zu beenden, fragte er unvermittelt: »Worüber wolltest du mit mir reden?«
Der Conte schien enttäuscht - oder gar gekränkt? Brunetti beobachtete ihn, wie er eine Antwort vorbereitete. »Es gab keinen speziellen Grund, Guido. Ich unterhalte mich gern mit dir: Das war alles. Und wir haben so selten die Gelegenheit, ständig kommt etwas dazwischen.« Er schnippte ein Stäubchen von seinem Ärmel, sah Brunetti an und sagte: »Ich hoffe, das macht dir nichts aus.«
Brunetti legte dem Conte eine Hand auf den Unterarm. »Nein, das freut mich sehr, Orazio.« Er konnte gar nicht sagen, wie sehr ihn die Bemerkung des Conte rührte. Dann wandte er sich wieder dem Porträt der Frau zu. »Paola würde wahrscheinlich sagen, das ist das Porträt einer Frau, nicht das einer Dame.«
Der Conte lachte. »Wie recht du hast.« Er stand auf und trat vor das Porträt des jungen Mannes. »Das hier würde ich allerdings gerne haben.« Er ging nach hinten, um mit dem Händler zu sprechen; Brunetti blieb zurück und dachte über die beiden Bilder nach, die zwei Gesichter, die zwei Vorstellungen davon, was Schönheit sei.
Brunetti nahm das sorgfältig verpackte Porträt unter den Arm, und es war schon nach neun, als sie zum Palazzo Falier schlenderten und darüber sprachen, wo das Bild aufgehängt werden sollte.
Die Contessa war nicht da, wie Brunetti zu seiner Enttäuschung erfuhr. In den vergangenen Jahren hatte er ihr Feingefühl und ihren gesunden Menschenverstand schätzen gelernt, und eigentlich hatte er Lust gehabt, sie zu fragen, ob sie mit ihm über Franca Marinello sprechen wolle. So aber verabschiedete er sich von dem ungewöhnlich schweigsamen Conte; das Gespräch mit ihm hatte ihm gutgetan, und er freute sich, dass der Ältere solches Vergnügen an etwas so Schlichtem wie einem neuen Bild empfinden konnte.
Langsam ging er nach Hause, wie jeden Winter leicht verunsichert vom frühen Eintritt der Dunkelheit und bedrückt von der feuchten Kälte, die seit dem Morgen stark zugenommen hatte. Am Fuß der Brücke, wo er Franca Marinello und ihren Mann zum ersten Mal gesehen hatte, lehnte er sich ans Geländer und dachte daran, wie viel er in den letzten Tagen erfahren hatte - keine Woche war das her, stellte er überrascht fest.
Plötzlich dachte er daran, wie der Conte auf seine Frage, warum er ihn habe sprechen wollen, reagiert hatte - die Frage unterstellte, dass nur Eigennutz dahinterstecken konnte. Brunetti hatte sich Sorgen gemacht, er könnte seinen Schwiegervater damit beleidigt haben, eins aber ganz außer Acht gelassen: den Schmerz seines Gegenübers. Es war der Schmerz eines alten
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