Bruno Chef de police
uns in der
mairie
läuft's ähnlich. So wie überall. Wir sind schließlich nicht von gestern«, erwiderte Bruno. »Ich hab mir wohl nur selbst was vorgemacht, als ich glaubte, dass es bei uns anders zugehen würde. Saint-Denis mag zwar ein beschaulicher, altmodischer Ort sein, der, wie es heißt, ideal ist, um Kinder großzuziehen, aber dann passiert so was. Mein erster Mordfall.«
»Wann wollen Sie denn endlich eine Familie gründen, Bruno? Auch Sie werden nicht jünger. Oder stimmt es, was so gemunkelt wird: dass Sie sich einen eigenen kleinen Harem vernachlässigter Landpomeranzen halten?«
Bruno schmunzelte. »Wer so was behauptet, hat noch nie die Fäuste eines Bauern gesehen.«
»Oder noch keine Bäuerin«, gab Jean-Jacques zurück. »Im Ernst, haben Sie nicht vor, für Nachwuchs zu sorgen? Sie würden einen guten Vater abgeben.«
»Mir ist noch nicht die Richtige über den Weg gelaufen«, entgegnete Bruno achselzuckend. Es war seine übliche Ausrede, mit der er nicht nur seine Freiheit zu verteidigen, sondern auch die Erinnerung an eine unglückliche Liebe zu verdrängen versuchte. »Und wenn doch, bin ich entweder nervös geworden oder sie hat die Geduld verloren und ist wieder abgezogen.«
»Da war doch so eine hübsche Brünette, die für die Eisenbahn gearbeitet hat. Josette. Mit der sind Sie damals ausgegangen, als wir diesen Banküberfall aufzuklären hatten.«
»Als hier die Stellen gestrichen wurden, wurde sie nach Calais auf die Baustelle des Eurotunnels versetzt, weil sie gut Englisch spricht. Ja, ich vermisse sie«, gestand Bruno. »Wir haben uns einmal für ein Wochenende in Paris getroffen, aber das war irgendwie nicht das Gleiche.«
Jean-Jacques schnaubte hörbar, womit er anscheinend ausdrücken wollte, dass er alles verstand, sowohl die Macht der Frauen als auch die korrodierende Wirkung der Zeit und die Unfähigkeit der Männer, mit beidem klarzukommen. Schweigend blickten die beiden ins Tal, über das sich schon Dunkelheit ausgebreitet hatte.
»Ich glaube, ich kann mich glücklich schätzen, ein halbwegs normales Familienleben zu führen«, sagte Jean-Jacques. »Die meisten Polizistenehen scheitern wegen unzumutbarer Dienstzeiten, weil man nicht über alles reden kann und weil es kaum möglich ist, Freunde außerhalb der Polizei zu finden. Das ist gerade für Frauen ein Problem. Zivilisten werden meist nervös in unserem Beisein, aber das wissen Sie ja selbst. Oder ist das bei Ihnen auf dem Land anders, wo jeder jeden beim Namen kennt?«
Diesmal schnaubte Bruno. Der Polizeidienst in Saint-Denis war in der Tat anders, zumindest für ihn und auf eine Weise, von der Jean-Jacques bestimmt nichts wissen wollte.
»Der einzige Kummer, den wir haben, sind die ausbleibenden Enkelkinder«, fuhr Jean-Jacques fort. »Meine Frau liegt mir deswegen ständig in den Ohren und fragt sich, warum unsere Kinder nicht heiraten und selbst Kinder in die Welt setzen.« Er seufzte. »Wahrscheinlich bekommen Sie von Ihren Eltern ähnliche Vorwürfe zu hören.«
»Eigentlich nicht«, entgegnete Bruno kurz angebunden, besann sich dann aber und fügte hinzu: »Ich dachte, Sie wüssten, dass ich keine Eltern habe.«
»Oh, Pardon. Ich wollte Sie nicht...« Jean-Jacques unterbrach sich und schaute ihm in die Augen. »Doch, jetzt erinnere ich mich wieder. Jemand hat's mir gesagt, es war mir nur entfallen.«
»Ich habe meine Eltern nie kennengelernt«, erklärte Bruno, ohne Jean-Jacques anzusehen. »Von meinem Vater weiß ich überhaupt nichts, und meine Mutter hat mich als Säugling in einer Kirche ausgesetzt. Es war der dort amtierende Priester, der mich auf den Namen Benoît, der Gesegnete, getauft hat. Vielleicht verstehen Sie, warum ich mich stattdessen selber Bruno nenne.«
»Herrje, Bruno. Das tut mir wirklich leid.«
»Bis zu meinem fünften Lebensjahr war ich in einem katholischen Waisenhaus. Meine Mutter beging dann Selbstmord in Paris und hinterließ einen Brief an ihren Cousin in Bergerac. Darin bat sie ihn, sich um mich zu kümmern. Seine Frau und er haben mich großgezogen. Eine glückliche Kindheit sieht bestimmt anders aus, aber immerhin hatte ich so etwas wie Eltern und fünf Geschwister. Weil nie genug Geld da war, bin ich gleich nach der Schule zum Militär gegangen.«
»Haben Sie noch mit ihnen Kontakt?«
»Wir sehen uns zu Hochzeiten und Beerdigungen. Einer der Enkel liegt mir am Herzen, weil er Rugby spielt. Ich habe ihn ein paarmal mit zum Jagen genommen und versucht, ihm den Wunsch
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