Bruno Chef de police
Kommunisten im Parlament. In der Opposition hieß es: »Lieber Hitler als Blum.« Die Maghreb-Liga war wie so viele damalige Sportorganisationen von Sozialarbeitern im Auftrag des Ministeriums für Jugend und Sport ins Leben gerufen worden. Es gab eine Liga der katholischen Jugend, eine der Jungsozialisten, eine
Ligue des Syndicats
der Gewerkschaften und sogar eine italienische Liga, weil der Südosten Frankreichs von Nizza bis zur italienischen Grenze bis ins 19. Jahrhundert hinein zu den italienischen Savoyen gehört hatte und erst 1860 an Kaiser Louis Napoléon ging zum Dank für seine Unterstützung im Krieg gegen Österreich und in der Einigung Italiens. Ja, auch das hatte Bruno, wie er sich vage erinnerte, in der Schule gelernt. Die katholische Jugend, Jungsozialisten und Gewerkschaftsjugend aber weigerten sich, gegen Nordafrikaner zu spielen. Nur die Italiener waren dazu bereit, was das Ministerium als vielversprechende Möglichkeit der Integration beider Minderheiten begrüßte. Manche Dinge ändern sich eben nie, dachte Bruno düster, musste sich aber in Erinnerung an die französische Nationalmannschaft sogleich korrigieren, die 1998 die Weltmeisterschaft mit ihrem Kapitän Zidane, einem gebürtigen Nordafrikaner, gewonnen hatte. Und insgeheim freute er sich ein wenig darüber, dass die jungen Sportsleute von Saint-Denis aus den unsinnigen Vorurteilen von damals herausgewachsen waren und Spaß daran hatten, mit schwarzen, braunen, ja, selbst mit englischen Jungs zu spielen.
Die Maghrebiner waren begeisterte Fußballer, aber nicht besonders erfolgreich gewesen. Gegen die italienischen Mannschaften hatten sie offenbar keine Chance gehabt. Um ihre Gegner im Interesse spannender Begegnungen aufzubauen, hatten daraufhin die Italiener den Nordafrikanern Trainingshilfe angeboten. Sehr nobel, dachte Bruno und las, dass der erste Trainer der italienischen Liga ein Spieler der Profimannschaft von Marseille war und Giulio Villanova hieß.
Bruno richtete sich im Bett auf. Villanova war der Name des Mannes, an den sich Momu erinnert hatte. Es handelte sich also um das Team von Momus Vater. Schnell las Bruno weiter. Zu einer Zeit, da im Fußball allenfalls ein Taschengeld zu verdienen war, konnte sich Villanova glücklich schätzen, für seine Trainerleistung ein kleines Gehalt vom Sportministerium zu beziehen. Klingt so, als hätte damals jemand eine gute Idee gehabt, dachte Bruno und wünschte, es würde auch heute jemand seinen Einsatz als Trainer des Tennis- und Rugbynachwuchses finanziell unterstützen. Träum weiter, Bruno.
Mit Villanova als Trainer wurden die maghrebinischen Mannschaften immer besser; manche gewannen inzwischen sogar das eine oder andere Spiel. Das erfolgreichste Team waren die
Oraniens,
die Jungs aus Oran, die im März 1940 die Meisterschaft ihrer Liga für sich entschieden hatten, also kurz vor der Invasion der Deutschen in Frankreich, die dem organisierten Sport für junge Nordafrikaner ein Ende setzte.
Im Text ging es weiter mit dem Versuch einer Antwort auf die spekulative Frage, ob die erstarkte Maghreb-Liga und die Erfolge der
Oraniens
den gewünschten Integrationsprozess hätten einleiten können, wäre der Krieg nicht dazwischen gekommen. Denn sonst hätten sie auch gegen die katholische Jugend und die Jungsozialisten spielen können. Villanova, die Sozialarbeiter und fast alle volljährigen Spieler waren eingezogen worden, die Maghreb-Liga löste sich auf und geriet bald in Vergessenheit. Bruno blätterte rasch weiter und suchte nach Abbildungen, Namenslisten oder weiteren Hinweisen auf die
Oraniens,
wurde aber nirgends fündig. Immerhin hatte er die Telefonnummer des Verfassers.
Zufrieden darüber, den Namen von Hamids Mannschaff gefunden zu haben, und mit einem Schmunzeln auf den Lippen, weil er der Verkehrskontrolle von
Capitaine
Duroc hatte ausweichen können, schaltete Bruno die Lampe aus und legte sich schlafen.
Als Bruno am nächsten Morgen sein Büro betrat, griff er sofort nach dem Telefonhörer und rief den Autor der Examensarbeit an. Der junge Dozent für Sportgeschichte an der Universität von Montpellier war überrascht von Brunos Anliegen, freute sich aber, dass seine Arbeit nicht nur ihm selbst, sondern anscheinend auch anderen nützlich sein konnte, und bot eifrig seine Hilfe an. Bruno erklärte ihm, mit der Aufklärung eines Mordes beschäftigt zu sein, begangen an einem älteren Nordafrikaner namens Hamid al-Bakr, an dessen Wohnzimmerwand das Foto einer
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