Brut des Teufels
magischen Kreis wirklich nicht, oder?«, fragte sie.
» Ich habe dich damit hierhergeholt.«
» Ja, das hast du«, erwiderte sie. » Und du bist in dem Kreis, und ich stehe draußen, aber wer von uns beiden sitzt wirklich in der Falle?«
Nightingale spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken rann, und zitterte.
» Die Zeit ist für mich anders, Nightingale. Ihr messt euer flüchtiges Leben in Sekunden und Minuten. Ich messe meines in…« Sie zuckte mit den Schultern. » Ich messe es gar nicht«, sagte sie. » Die Zeit ist einfach. Die Zeit ist für mich wie Länge, Breite und Tiefe. Sie ist einfach da. Sie bewegt sich nicht so wie für euch.«
Nightingale runzelte die Stirn. » Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte er.
» Natürlich nicht«, gab sie zurück. » Aber Folgendes wirst du verstehen. Ich kann hundert Jahre hier stehen. Oder tausend. Oder eine Million, wenn es sein muss. Aber du? Würdest du vierundzwanzig Stunden in diesem Kreis aushalten? Oder eine Woche? Würdest du einen Monat durchhalten? Ohne Essen oder Wasser? Und selbst mit Essen und Wasser, wie lange kannst du wohl hierbleiben, ohne den Verstand zu verlieren?« Sie lächelte. » Wie wäre es, wenn wir einmal einen Versuch machen?« Sie ließ die Arme herunterfallen und starrte ihn teilnahmslos an.
» Das ist doch lächerlich«, sagte Nightingale.
Proserpina erwiderte nichts, starrte ihn aber weiter an. Ihre Augen waren schwarz und ausdruckslos, die Iris verschmolz perfekt mit den Pupillen. Aber es spiegelte sich nichts in ihnen, es war, als saugten sie alles auf! Ihr Gesicht war eine leblose Maske, und er konnte nicht sagen, ob sie ihn ansah oder durch ihn hindurchsah. Er ging um den Karton herum und betrachtete sie erneut. Sie hatte sich nicht bewegt und ebenso wenig der Hund. Es war, als wären sie erstarrt.
» Du schmollst, oder?«, fragte er.
Es kam keine Reaktion.
» Willst du einfach da stehen und gar nichts tun?«
Sie blieb, wo sie war, wie festgefroren. Nightingale trat näher und starrte sie über den Kreidestrich hinweg an. Er hob die rechte Hand und wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. Ihre Augen blickten weiter starr geradeaus.
Er näherte sich ihr mit dem Kopf, achtete dabei aber darauf, das Pentagramm nicht zu übertreten. Noch immer reagierte Proserpina nicht. Er ging zur Mitte des Pentagramms zurück, stand da und beobachtete sie. Die Sekunden verstrichen. Eine Minute. Zwei Minuten. Nightingale begriff, dass sie recht hatte. Die Zeit kroch dahin, und er konnte unmöglich Stunden in dem Pentagramm verbringen, von Tagen oder Wochen ganz zu schweigen. Und so lange sie sich im Zimmer befand, konnte er das Pentagramm auch nicht verlassen, denn dann wäre alles vorbei. Das Pentagramm war nicht nur ein Schutz, es war auch ein Gefängnis. Er blickte den Hund an. Der stand ebenfalls vollkommen bewegungslos da, seine Augen stumpf und leblos.
Nightingale ging langsam in dem Pentagramm herum. Die Kräuter glosten noch immer in dem Bleitiegel. Er sah auf seine Uhr. Es waren erst fünf Minuten vergangen, seit Proserpina und ihr Hund aufgehört hatten, sich zu bewegen, aber es fühlte sich wie Stunden an. Er trat auf Proserpinas Seite des Pentagramms und holte tief Luft. » Okay, es tut mir leid«, sagte er. » Ich entschuldige mich.« Er legte die Hand mit gespreizten Fingern aufs Herz. » Ich wollte dich nicht beleidigen, und ich habe meine Lektion gelernt.«
Proserpina lächelte. » Schon besser«, schnurrte sie. Der Hund bellte leise auf, und die Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul.
» Ich dachte eben einfach, die Beschwörung sei das, was man macht, wenn man sich mit einem Teufel unterhalten will.«
» Das stimmt auch, aber man darf sie nicht missbrauchen. Ich bin kein Hund, den man herbeiruft, indem man an der Leine ruckt.«
Der Hund knurrte, und Proserpina bückte sich und streichelte ihn hinter dem Ohr. » Schon gut, Schatz, keiner wird dich je an eine Kette legen.« Sie blickte zu Nightingale auf und lächelte. » Dann sind wir also fertig, oder?«, fragte sie.
» Kann ich irgendetwas sagen oder tun, um dich zu überreden, mir zu helfen?«
Sie richtete sich auf und zuckte mit den Schultern. » Ein Vertrag«, sagte sie. » Du könntest mir einen Vertrag anbieten. Das ist der einzige gute Grund, einen Teufel zu beschwören. Normalerweise werden wir von denen beschworen, die uns eine Seele zu verkaufen haben.« Sie leckte sich die Lippen mit der Zungenspitze. » Wie steht es mit dir, Jack Nightingale?
Weitere Kostenlose Bücher