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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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gar nicht sagen wollten. Tagore hat anders zugehört. Er hat im Hören auf das Unhörbare gehorcht, auf das, was in den Stimmen der Menschen mitklingt, auf die Zwischentöne, auf die Sehnsucht, die ihre Worte verraten. Wer so hört, der verlangt nach mehr. Er hört auf das Geheimnis des Lebens. Und das ist so reich, dass wir nie zu Ende kommen.

    ANGESTECKT VON DER SCHÖNHEIT

    „Sehnsucht lässt alle Dinge blühen." Welche Erfahrung mag hinter diesem Satz des französische n Schriftstellers Marcel Proust stecken? Wenn ich mich nach Liebe sehne, dann erinnert mich eine Rose an die Liebe, die mir der geliebte Mensch entgegenbrachte. Und schon blüht die Rose für mich anders. Der mächtige Baum, der meine Augen in Bann zieht, lockt in mir auch die Sehnsucht nach Beständigkeit, Standfestigkeit, Selbstvertrauen und Kraft hervor. Die Sehnsucht lässt mich den Baum mit anderen Augen anschauen. Kürzlich verbrachte ich meinen Jahresurlaub in der Toskana. Ich saß auf einem Hügel und schaute in die weite Landschaft. Ich konnte nicht genug schauen. Ich sah nicht auf bestimmte Berge oder Dörfer. Ich saß einfach da und schaute. Ich spürte, wie die Landschaft mir gut tat. Die Stille, die mich umgab, erfüllte mein Herz. Im Schauen und Hören kam ich in Berührung mit meiner Sehnsucht nach Schönheit, Frieden, Heimat, Weite, nach Eingebettet sein in die Schöpfung. Und ich spürte den Unterschied: Wenn ich diese Landschaft nur mit Augen betrachtet hätte, die wissen wollen, wo welcher Berg oder welche Stadt liegt, dann wäre ich bald schon wieder aufgestanden. Ich hätte meine Neugier befriedigt. Aber die Landschaft wäre für mich tot geblieben. Indem ich mich jedoch von ihrer Schönheit und Weite anstecken ließ, bekam die Landschaft für mich eine andere Qua lität. Sie begann zu blühen. Ich fühlte Ruhe, Erfüllung, Weite. Die Landschaft tat mir gut. Sie schenkte mir Frieden und Glück. Ich hörte auf die Stille, in der das Unhörbare anklang. Ich schaute und schaute und konnte mich nicht satt sehen. Ich schaute nicht auf einzelne Dinge, sondern auf die Weite, auf das Liebliche, das Beruhigende, auf den geheimnisvollen Zauber, der von dieser Landschaft ausging. Ich kann mir vorstellen, dass ähnliche Erfahrungen hinter dem Satz Marcel Prousts stehen. Wenn er mit den Augen der Sehnsucht auf die Dinge sah, begannen sie unter seinen Augen zu blühen.

    FEUER IN DER SEELE

    Der holländische Theologe und Psychologe Henri Nouwen fühlte sich seinem Landsmann Vincent van Gogh geistesverwandt. Er spürte in sich selbst etwas von der Zerrissenheit dieses großen Künstlers. Aber zugleich zog ihn das Feuer in den Bildern seines Landsmannes an. Darüber hatte der Maler ausdrücklich gesagt: „Das Feuer in seiner Seele soll man nie ausgehen lassen, sondern es schüren." Vincent van Gogh war ein leidenschaftlicher Mensch und Gottsucher. Er fühlte sich den armen und an den Rand gedrängten Menschen tief verbunden. Und er träumte davon, „die Hoffnung durch einen Stern auszudrücken, die Sehnsucht einer Seele durch einen strahlenden Sonnenuntergang". Das Feuer, das in seiner Seele brannte, ließ er nie ausgehen, sondern entfachte es immer wieder von neuem, auch wenn es ihn an den Rand der Verzweiflung brachte. Während seines Lebens wollte sich niemand an diesen „Ofen" setzen, um sich daran zu wärmen. Ein einziges Bild konnte sein Bruder Theo zu Lebzeiten des großen Künstlers für ihn verkaufen. Doch heute - so meint Henri Nouwen -, heute nehmen sich viele die Zeit, seine Bilder zu betrachten, weil sie intuitiv das Feuer darin spüren, das ihr kaltes Herz mit Wärme erfüllt. Und so beginnt auch das Feuer in ihnen wieder zu brennen, das in der Unrast ihres Lebens erloschen ist. Das Feuer, das van Gogh zeit seines Lebens in seiner Seele trug, brennt noch heute in seinen Bildern. Der „Funke", der von ihnen überspringen und sich entzünden kann, hat seinen Grund in der menschlichen Wärme und Glut des Künstlers. Nur wer selbst das Feuer in sich trägt, kann andere damit entflammen. Wer heute van Goghs Bilder anschaut und sich in sie vertieft, kommt in unmittelbare Berührung mit der Sehnsucht nach Liebe, mit jener Kraft, die den leidenschaftlichen Künstler getrieben hat, zu malen und in seinen Bildern auch andere an dem Feuer teilhaben zu lassen, das in ihm brannte.

    ZAUBERWORTE

    „Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das

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