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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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geherrscht. Doch alle Macht und alle Schönheit der Welt sind ihm nicht genug. Er spürt in sich eine tiefe Sehnsucht nach Ergänzung. Der Mann sehnt sich nach der Frau, ohne sie fühlt er sich unvollständig. 
    Gioconda Belli kennt offensichtlich diese Einsamkeit. Es mag einem nach außen hin noch so gut gehen, ohne die Erfahrung eines Freundes oder einer Freundin irrt man allein und voller Sehnsucht in dieser Welt umher. Die Sehnsucht der Frau nach dem Mann und des Mannes nach der Frau ist manchmal so stark, dass man sich als allein umherirrend erlebt. Man kann anfangen, was man möchte. Weder Besitz noch Erfolg kann sich messen mit der Erfüllung, die der Mann durch die Frau und die Frau durch den Mann erlebt. Ungestillte Sehnsucht treibt den Mann an, nach der Frau zu suchen, und die Frau, sich nach einem Mann umzusehen. Doch sobald die Sehnsucht erfüllt wird, erleben beide: Die Liebe weckt immer neue Sehnsucht, und der andere kann sie nie ganz zufrieden stellen.
    Wenn ich nachts von meinen Vorträgen nach Hause fahre, schalte ich manchmal das Radio ein, um nicht einzuschlafen, und suche einen Sender mit klassischer Musik. Doch den finde ich um diese Zeit meistens nicht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mir die Schlager anzuhören, die viele Sender bringen. Sie singen meistens von der Liebe, aber zugleich auch von dem Schmerz, den die Liebe zufügt, von der unstillbaren Sehnsucht nach absoluter Liebe und Geborgenheit, nach Einswerden mit dem anderen, ohne die Angst, verlassen zu werden. Diese Schlager wissen davon: Die Sehnsucht nach Liebe ist die stärkste Sehnsucht im Menschen. Adam hatte gehofft, dass durch Eva sein Leben wirklich zum Paradies würde. Aber schon kurze Zeit später werden beide aus dem Paradies vertrieben. Sie erfahren, dass ihr Leben Mühsal ist und dass sie nur Staub sind und zum Staub zurückkehren müssen (Genesis 3,19). Und die Sehnsucht lebt weiter.

    ES SCHWINDELT MIR, ES BRENNT

    „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide! Allein und abgetrennt Von aller Freude, seh ich ans Firmament nach jeder Seite. Ach! Der mich liebt und kennt ist in der Welt. Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide. Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!" Dieses Gedicht gehört zu den bekanntesten Texten der deutschen Literatur. Goethe drückt die Sehnsucht eines Menschen aus, der unter der Trennung von dem Menschen, den er liebt, leidet. So schaut er auf zum Himmel, bald hierhin und bald dorthin. Er wird schwindlig vom Schauen. Und es brennt in seinem Innern. Indem Goethe seinen Zustand schildert, sucht er die Gemeinschaft mit dem Leser. „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!"
    Offensichtlich ist die Erfahrung der Sehnsucht die Voraussetzung dafür, dass ich Menschen verstehe, die verliebt sind und sich von ihrem Geliebten getrennt fühlen, die lieben und deren Liebe nicht erwidert wird, die in ihrer Liebe auf Missverständnisse stoßen, die die Liebe in Frage stellen. Goethe spricht nicht davon, dass ich die gleiche Liebeserfahrung machen muss, um den Verliebten und sein Leid zu verstehen. Die Sehnsucht genügt. In der Sehnsucht weiß ich, was Liebe ist, und kenne das Leid derer, die sich in ihrer Liebe einsam fühlen und voller Zweifel sind, ob ihre Liebe erwidert wird. Die Sehnsucht bringt mich dem Leidenden näher. Wenn ich sie erfahre und spüre, leide ich selbst an dem Zwiespalt zwischen Wunsch und Erfüllung. So verstehe ich in meiner Sehnsucht alle Menschen, die an der Nichterfüllung ihrer Sehnsucht leiden, wie sie mit jeder Erfahrung von Liebe notwendigerweise verbunden ist.

    DER LIEBE UNENDLICHE FÜLLE

    Der junge Dichter Friedrich von Hardenberg nannte sich selbst Novalis: einer, der Neuland unter den Pflug nimmt. Es liegt ein eigenartiger Glanz auf der Dichtung dieses zu früh verstorbenen romantischen Dichters, des Erfinders der blauen Blume. Als er mit fünfundzwanzig Jahren seine Braut verlor, nahm er innerlich von dieser Welt Abschied und sehnte sich danach, seiner Geliebten in den Tod zu folgen. Seine Dichtung ist geprägt von dieser Sehnsucht nach der anderen Welt:

    „Hätten die Nüchternen
    Einmal gekostet,
    Alles verließen sie,
    Und setzten sich zu uns
    An den Tisch der Sehnsucht,
    Der nie leer wird.
    Sie erkennten der Liebe
    Unendliche Fülle,
    Und priesen die Nahrung
    Von Leib und Blut."

    Novalis lädt also seine Leser ein an den Tisch der Sehnsucht. Am Tisch der Sehnsucht erkennen sie die unendliche Fülle der Liebe, die

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