Buch Der Sehnsucht
Kindern, auf die sie einst hofften, näher. Sie haben das Geld, die Karriere und das Heim, alles, was sie sich immer wünschten, und doch ist all das nicht genug, um den Motor der Sehnsucht zu bezwingen, der unaufhörlich irgendwo unter dem Herzen summt."
Die Erfahrung, die Thomas Moore, früher Mönch, heute Therapeut und Dozent, hier beschreibt, wirkt vertraut. Die Sehnsucht nach Liebe treibt uns vielleicht an, den geliebten Partner, die geliebte Partnerin zu heiraten. Doch schon bald merken wir, dass die Ehe unsere Sehnsucht nicht erfüllen kann. Wir sehnen uns dann nach einer faszinierenderen Frau, nach einem vitaleren Mann. Doch auch diese würden unsere Sehnsucht nicht erfüllen. Wir können entweder resignieren und uns damit begnügen, dass das Leben nicht mehr hergibt. Oder wir werden getrieben, immer neue Partnerinnen oder Partner zu suchen. Es gibt eine Möglichkeit, aus diesem Dilemma herauszukommen. Sie besteht darin, unsere Sehnsucht, die die Liebe in uns weckt, auf Gott zu richten.
Thomas Moore sieht die enge Verknüpfung unserer Sexualität mit der Sehnsucht: „Unsere tiefere menschliche Sexualität wird nur dann erfüllt werden, wenn wir entdecken, dass der Geliebte, den wir suchen, göttlich ist und nicht gefunden werden kann." Sehnsucht und gelebte Sexualität sind keine Gegensätze. Die Sehnsucht ersetzt die Sexualität nicht, sondern sie gibt ihr erst ihre Tiefe. Sie ermöglicht es uns, die Sexualität so zu leben, dass sie uns auf das eigentliche Geheimnis unseres Lebens verweist: auf die göttliche Dimension. Thomas Moore geht sogar so weit, das Bett einen Betstuhl zu nennen, einen „Ort des physischen Gebets, inspiriert von Sehnsucht und getragen von Freude. Kein Altar ist heiliger." Was er meint: Nur wenn uns unsere Sexualität auf das Numinose verweist, enttäuscht sie uns nicht, sondern hält uns lebendig auf unserem Weg zu Gott hin.
EINHEIT UND EINFACHHEIT
Eine Ursehnsucht des Menschen zielt auf Einheit und Einswerden. Der Ort, an dem der Mensch heute das Einssein am intensivsten erfährt und ersehnt, ist das Einswerden in der Sexualität. Da gelingt es ihm manchmal, sich zu vergessen und ganz eins zu werden mit dem Geliebten. Die Psychologin Verena Kast meint, die Sehnsucht nach dem Einswerden mit dem Du sei letztlich immer auch die Sehnsucht nach der eigenen Vollständigkeit, nach der ursprünglichen Ganzheit. Diese Sehnsucht nach Einheit und Einswerden hat der griechische Philosoph Platon in einem eindrucksvollen Bild beschrieben, dem Mythos vom Kugelmenschen. Der Mensch war demnach ursprünglich eine Kugel, eine runde Ganzheit. Nachdem die Kugel in zwei Teile zersprang, sehnt sich der Mensch seither nach seiner ursprünglichen Ganzheit zurück. Ein anderes Bild, das Platon gefunden hat, ist das Höhlengleichnis. Die Seele kommt aus der göttlichen Sphäre. Sie ist hier in die Höhle des Leibes verbannt. Sie sieht nur die Schatten, die das Urlicht in der Höhle wirft, und sehnt sich zurück nach ihrer Heimat, wo sie ganz sie selbst sein kann, nicht mehr behindert durch den Leib. Die griechische Philosophie hat diese Sehnsucht nach Einheit immer wieder entfaltet. Sie hat eine eigene Philosophie des „To Hén", des „Einen", entworfen. Die Sehnsucht nach Einheit und Einswerden wurde von der christlichen Einheitsmystik aufgegriffen, wie sie die griechischen Kirchenväter Gregor von Nyssa und Dionysos Areopagita entwickelt haben. Der Mystiker strebt danach, mit Gott eins zu werden. Wenn ich mit Gott eins bin, bin ich auch eins mit mir - und eins mit der ganzen Schöpfung. Und ich bin einverstanden mit meinem Leben, mit allem, was ist. In solchen Momenten der Einheitserfahrung ist meine Sehnsucht gestillt. Doch diese Erfahrung dauert immer nur einen Augenblick. Dann leide ich wieder an meiner Zerrissenheit, an meiner Isolation und Einsamkeit. Und die Sehnsucht wird wieder lebendig.
PARADIESISCH
„Ich hasse die Einsamkeit wie Adam, als er sehnsüchtig und allein umherirrte im irdischen Paradies." Die lateinamerikanische Dichterin Gioconda Belli, von der dieser Satz stammt, versteht Adam als den einsamen Menschen. Gott hat ihn geschaffen und ins Paradies versetzt, doch das genügt ihm nicht. Er fühlt sich allein. Gott hat Mitleid mit ihm und erschafft aus seiner Rippe Eva. In ihr erkennt Adam seine Gefährtin: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Genesis 2,23). Vorher hatte Adam alle Geschöpfe mit Namen genannt und über sie
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