Buch Der Sehnsucht
schlimmste Korruption ist die des Besten." Das Gleiche sagt die Bibel über Luzifer: Der Engel des Lichts - solange er bei Gott ist - wird, sobald er sich von ihm abwendet, zum Engel der Finsternis. Die Sehnsucht nach Erlösung bleibt.
EIN LICHT ANZÜNDEN
Viele Menschen heute machen die Erfahrung einer seelischen Nacht. Aber das ist nur ein Teil der Realität. Ich spüre dies auch bei Menschen, die in meine Vorträge und Seminare kommen. Manche haben Beziehungsprobleme, andere sind physisch oder psychisch krank; andere wiederum haben so viel Angst und fühlen sich so bedrängt von einer feindlichen Welt, dass sie ihren Platz auf dieser Erde nicht mehr finden. Aber ich glaube nicht an die vollkommene Nacht. In uns allen ist eine Sehnsucht, ein Streben nach Licht. Dass diese Menschen herkommen, bedeutet, sie haben noch einen Hoffnungsschimmer, auch wenn sie fürchten, von der Nacht ganz eingehüllt zu werden. Mir scheint, dass zur Zeit die Sehnsucht nach Erleuchtung - und das heißt nach Lebendigkeit, nach Angstfreiheit, nach Begegnung mit der Wirklichkeit - bei vielen Zeitgenossen sehr stark ist. Viele suchen hartnäckig nach ihr, selbst ohne es zu wissen. Mich macht bei Vorträgen oder Gesprächen glücklich, wenn ich sehe, wie sich die Gesichter der Menschen mit der Zeit erhellen. Und aus der therapeutischen Praxis und der geistlichen Begleitung von Menschen wissen wir: Ein Depressiver, der einen Lichttraum hat, beginnt zu genesen. Wer in seinem Leben das Licht anzündet und den Sinn seines Daseins begreift, vertreibt die Angst, verscheucht seine Illusionen und bereichert sein Leben. Es macht auf diesem Hintergrund eines bildhaften Denkens viel Sinn, dass man die Taufe im frühen Christentum „Erleuchtung" nannte. Der erleuchtete Mensch ist ein lebendiger Mensch. Christliche Symbolik spricht übrigens nicht umsonst vom Licht des Glaubens. Auch der abendliche Gesang der Mönche greift dieses Symbol auf: Bei der Komplet zünden wir das Licht an, damit uns die Abendfinsternis nicht verschlingt.
IN DER NACHT UNSERER SEELE
In Hölderlins Roman „Hyperion" schreibt der Held an seinen Brieffreund Bellarmin von einer tiefen Erfahrung, die der Dichter wahrscheinlich selbst gemacht hat: Es ist die deprimierende Erfahrung der Nacht: „Es gibt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseins, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unserer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet." Wir alle machen die Erfahrung der Dunkelheit. Die Nacht, die Hölderlin meint, bedeutet in buchstäblichem Sinne Verfinsterung. Sie ist die Begegnung mit der Ahnung von Vernichtung, Wertlosigkeit, Depression, Verzweiflung und Einsamkeit. Wir sehnen uns in einer solchen Situation, in der wir nicht mehr weitersehen, nach einem Ausweg, nach Licht. Die Erfahrung der Nacht in diesem negativen Sinne gibt es sicherlich. Aber sie ist nicht alles. Ich unterscheide zwischen Nacht und Schatten. Schatten, die uns quälen, dunkle Seiten, die wir an uns erkennen und an denen wir leiden, sind nicht alles. Der Schatten ist der Teil von mir, den ich nicht beherrschen kann und mit dem ich mich versöhnen muss. Selbst den Hass - der wirklich zu den dunklen Seiten in uns gehört, weil er auf Zerstörung aus ist - sollten wir nicht leugnen. Hass kann man auch als Schatten der Liebe begreifen. Er wird nicht zerstörerisch, wenn wir ihn anschauen und zu verstehen lernen. Unsere Schatten haben ihre Rechtfertigung. Darum ist es gefährlich, sie von uns zu trennen. Mit seinen Schattenanteilen kann man sich versöhnen. Das geschieht, indem man beginnt, zu erkennen, dass sie ihre Daseinsberechtigung haben, dass sie nicht an sich schlecht sind. Wenn wir unsere Schatten direkt bekämpfen wollen, riskieren wir uns zu verausgaben, denn die Kräfte, die sich hier beteiligen, sind stärker. Wir müssen unsere Schatten in unser Leben integrieren, sie zähmen, mit ihnen reden: Wie lange ist dieser Schatten schon da? Weshalb? Und ich kann mir aber auch immer sagen, dass ich mit allen meinen dunklen Seiten, meinem Neid und meinen Härten in der Hand Gottes bin.
GETRIEBEN ODER RESIGNIERT
„ Die Menschen sind oft frustriert, wenn sie entdecken, dass ihre tiefste Sehnsucht niemals verschwindet. Sie heiraten und träumen schließlich von einem anderen Partner. Sie ziehen an einen schönen Ort und wünsche n sich bald, sie könnten anderswo sein. Sie lieben ihre Kinder, wünschen sich aber, sie kämen den idealen
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