Buch Der Sehnsucht
sondern auch ein Mensch des Himmels. In uns leuchtet der Stern, der über uns hinausweist auf den, der vom Himmel herabkommt und unsere tiefste Sehnsucht erfüllt.
IN DER NACHT WÄCHST DIE SEHNSUCHT
Die Nacht ist für uns Mönche eine heilige Zeit. Im Kloster stehen wir jeden Tag um 4.40 Uhr auf! Wir Mönche wachen, während die Welt schläft, weil wir hoffen, dass die Nachtstille zu einer Zeit der Erfahrung mit Gott wird. Er spricht mit uns während dieser Zeit der großen Stille. Aufgrund der Tiefe dieser Erfahrung ist es auch kein Wunder, dass alle Religionen die Bedeutung der Nacht sehen und unterstreichen. In der Nacht wächst die Sehnsucht. Das Christentum feiert mit Weihnachten und Ostern zwei große Nächte, in denen wir auf Christus warten. Natürlich feierten schon die Heiden am 25. Dezember die Sonnenwende. Aber indem sie Christi Geburt auf die Nacht der Wintersonnenwende datierten, schufen die Christen ein Symbol dafür, dass die Weihnacht den Tag ankündigt. Dieses Symbol ist umso wichtiger, wenn man daran denkt, dass man damals meinte, die Winternächte würden von bösen und fürchterlichen Geistern heimgesucht. Die Wiederkehr des Tages bekundete den Sieg über diese bösen Geister. Das Symbol der Weihnacht ist aber noch viel stärker: Wenn Gott Mensch wird, entsteht Licht! Die wunderbare Liturgie der Weihnachtsnacht besingt es: Im Auge nblick der größten Stille steigt das Wort Gottes auf die Erde herab. Auch im Umfeld von Ostern spielt die Symbolik von Nacht und Licht eine wichtige Rolle. Die drei synoptischen Evangelisten erklären, dass auf den Tod Jesu die ganze Schöpfung reagierte und die Sonne sich drei Stunden verdunkelte. Die Auferstehung ist ein Sieg des Lichts und des Lebens. Für Johannes ist Christus tot, wird in ein Grab gelegt (eine Assoziation der Nacht) und ersteht - alles in einem Atemzug. Johannes ist es wichtig zu zeigen, dass der tote Jesus sich verwandelt. Die Sehnsucht nach Licht und nach Leben - zwei Ursehnsüchte der Menschheit. In den zwei großen Festen der Christenheit - Weihnachten und Ostern - wird die Erfüllung unserer Hoffnung gefeiert. Weihnachten markiert den Sieg des Lichts und Ostern den Sieg des Lebens. Und Weihnachten kündigt Ostern an. Beide gehören zusammen.
IN DUNKLER NACHT
Die Nacht ist für den Menschen ein Raum tiefer Erfahrung. Für den Propheten Jesaja ist sie der Ort, an dem die Sehnsucht in uns aufbricht. Für ihn ist es die Sehnsucht nach Gott. „Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, auch mein Geist ist voll Sehnsucht nach dir", so betet der alttestamentliche Prophet (Jesaia 26,9). In der Nacht steigen die Träume in uns hoch. In diesen Träumen drückt sich unsere Sehnsucht aus: nach einer anderen Welt, nach Licht, nach Heilung unserer Wunden, nach Verwandlung unseres Lebens. Aber auch wenn wir nachts wach liegen, meldet sich die Sehnsucht in uns zu Wort. Wer nicht schlafen kann, sehnt sich nicht nur nach Schlaf. Die Schlaflosigkeit zwingt ihn vielmehr, sich über sich selbst klar zu werden. Was ist mein Leben? Stimmt es so, wie es ist? Und der Wachzustand weckt in ihm die Sehnsucht nach dem Geheimnis des Lebens, nach dem Wurzelgrund seines Daseins, in dem allein seine Seele zur Ruhe kommt. Wenn uns in der Ruhe der Nacht nichts ablenken kann, dann kommen wir mit unserer Sehnsucht in Berührung, die unseren Alltag, ja die diese Welt übersteigt. Dem Propheten ergeht es so. Er weiß, dass allein Gott seine Sehnsucht zu stillen vermag. Auf ihn richtet sich sein Herz. So hat der Prophet keine Angst vor der Nacht, auch nicht vor den schlaflosen Nächten, in denen er sich hin-und herwälzt. Er weiß, dass die Nacht seine Sehnsucht beflügelt und seine Seele und seinen Geist mit der Sehnsucht nach Gott erfüllt: Nacht wird zur mystischen Zeit.
Nacht ist für den Propheten ein Bild für die tiefste Not des Menschen. Nacht heißt für ihn: im Dunklen orientierungslos herumtappen. Jesaja drückt diese Angst vor der Finsternis, die uns umgibt, mit den Worten aus: „Wir hoffen auf Licht, doch es bleibt finster; wir hoffen auf den Anbruch des Tages, doch wir gehen im Dunkeln. Wir tasten uns wie Blinde an der Wand entlang und tappen dahin, als hätten wir keine Augen. Wir stolpern am Mittag, als wäre schon Dämmerung, wir leben im Finstern wie die Toten" (Jesaja 59,9f)- Es ist die Nacht, die nach unserem Herzen greift, die Nacht der Depression, in der wir nicht mehr ein noch aus wissen, in der wir in einem schwarzen Abgrund zu sitzen
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