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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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die bei ihrer Rückkehr nachhause lediglich den Geruch der verbrannten Balken und herrenlos gewordene Gegenstände im Schutt des mit dem Beil von der Wand gehauenen Putzes vorfanden, war Levon Zohrab ein Zeuge der Vorfälle gewesen. Sein Vater, der Konstantinopler Abgeordnete Krikor Zohrab, hatte ihn schwören lassen, genau das zu tun, was er von ihm wünschte, dann, bevor er der osmanischen Polizei öffnete, schickte er ihn hinter die Draperien und befahl ihm, bis zum Schluss reglos dort zu verharren. Also sah er, wie sie hereinstürmten und, von Harutiun Măgârdician bezeugt – er hatte sie begleitet, um den armenischen Abgeordneten zweifelsfrei zu identifizieren –, seinen Vater am Morgen des 24. April 1915 verhafteten. Er sollte der Gruppe um Daniel Varujan, Siamanto, Vartkes, Pfarrer Komitas und der anderen armenischen Repräsentanten beigefügt werden, die alle am gleichen Tage verhaftet worden waren. Das Zeugnis Levon Zohrabs sollte einige Jahre später Solomon Tehlirian veranlassen, Măgârdician auf eine für äußerst beispielhaft gehaltene Weise umzubringen, indem er ihm nämlich vor den Augen seiner gesamten Familie ins Herz schoss. Damals jedoch hatte Levon Zohrab noch nicht an Rache gedacht, sondern nur an die Beschämung, die er hatte hinnehmen müssen, indem er tatenlos hinter der Draperie der Verhaftung seines Vaters zugesehen hatte.
    Levon Zohrab ist nicht bloß der Held der Geschichte in der Geschichte, sondern auch einer der Helden der Konvois hinter den Konvois. Er machte sich auf die Spuren seines Vaters, indem er den Weg der Konvois erkundete. Er beobachtete die Märsche der Deportierten, mischte sich unter sie, wo die Bewachung nicht aufmerksam genug war, und versuchte auf diese Weise, den am 24. April Verhafteten auf die Spur zu kommen; er stieg in Herbergen ab und plauderte mit den Anführern der Gendarmen. Aber weil er zu Fuß unterwegs war, während Krikor Zohrab und Vartkes
Effendi
, die beiden armenischen Abgeordneten, mit dem Zug und anschließend mit dem Auto bis nach Aleppo gefahren worden waren, kam er immer zu spät. Immerzu hatte er einen Konvoi vor sich, unabhängig davon, wie schnell er ging, als hätte ein Konvoi den anderen – wie aufgereiht an einer Perlenschnur – hinter sich hergezogen. In Aleppo erfuhr er vom Tod seines Vaters, ein Offizier berichtete ihm von den Erzählungen eines Kameraden, der sich gebrüstet hatte, eigenhändig Zohrab und Vartkes
Effendi
umgebracht zu haben, auch hatte er in allen Einzelheiten von den schrecklichen Qualen erzählt, denen die beiden unterzogen worden waren. Levon Zohrab hatte sich bemüht, die Stelle zu identifizieren, die Vorstellung, die Gebeine seines Vaters könnten irgendwo herumliegen, ließ ihm keine Ruhe. Er hat alles überprüft, was ihm im Suff erzählt worden war, und hat die Stellen gefunden, die den Beschreibungen entsprachen. Dann heuerte er zwei Ortsansässige mit einem Pferdewagen und den nötigen Werkzeugen an und brach auf, die Gebeine seines Vaters zu suchen. Aber in jenen Weiten, wo auf Schritt und Tritt Gebeine herumlagen, aufgrund der großen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, der Winde und vor allem wegen der Mittagshitze die Leichen sich schwarz verfärbt hatten, die Kleider verfault waren und die Haut von den Knochen gefallen, war es ihm unmöglich, einen Leib aufzufinden, der seinem Vater geglichen hätte. So begann er, alle Leichen zu bestatten, die er fand, und hoffte, auch die seines Vaters könnte darunter sein. Einige Wochen lang widmete er sich dieser Aufgabe, bis kein Einheimischer mehr bereit war, ihn zu begleiten, unabhängig davon, wie gut er ihn bezahlt hätte. Sie fürchteten seinen gläsernen Blick und die Besessenheit, mit der er die Spuren an den zerfallenden Leibern untersuchte, ja, auf die ihm geschilderte Todesart hin untersuchte. Also machte Levon Zohrab noch eine Weile alleine weiter, aber letztlich gab er erschöpft und beunruhigt von den argwöhnischen Blicken, die ihm überallhin folgten, auf. Auch hatten sich Gerüchte verbreitet, es war getuschelt, mal lautstark und mal heimlich behauptet worden, er sei ein gefährlicher Irrer oder gar darauf aus, die Leichen zu bestehlen.
    Levon Zohrab kam wie die anderen Zehntausenden Flüchtlinge, die sich diesen Zielort gewählt hatten, über den Hafen Constanța in Rumänien an; ein bunt zusammengewürfelter und fröhlicher Ort, an dem Waren aus allen Ecken und Enden der Welt umgeschlagen wurden, das Geld schnell wie in einem

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