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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Wirbelstrom kursierte und man sich, so man auf der Flucht war, besser als irgendwo sonst verstecken konnte.
    Zohrab jedoch gelang die Flucht vor den anderen, nicht aber vor den eigenen Irrungen. Er entschied sich für ein arbeitsames und entbehrungsreiches Leben inmitten einfacher und brutaler Leute, wie es die Lastenträger im Hafen waren. Dann arbeitete er an Terrassierungen und auf Baustellen, meinte, immerzu Gruben ausheben und anschließend wieder verschließen zu müssen, sei die gerechte Strafe dafür, dass er am Leben geblieben und der Leib seines Vaters nicht einmal bestattet worden war. Aber die größte Qual bestand nicht in der Strafe, sondern darin, sie nicht bis zum Ende durchgehalten zu haben. Die Baustellen benötigten die verschiedensten Materialien, vom Kies bis zu den Ziegeln und Balken, und diese Materialien kamen nicht immer pünktlich an. Levon Zohrab, der es gewohnt war, den Dingen einen ordentlichen Verlauf zu ermöglichen, sprach ein paar armenische Kaufleute in Constanța an und organisierte ein Zwischenlager mit Baumaterialien. Schon bald legte er die Schaufel nieder und betrieb sein Geschäft. Statt der Strafe, der er sich unterworfen hatte, begann er sich nun zu bereichern, wie er nicht ohne eine gewisse Beunruhigung feststellte. Und am schwersten erträglich war ihm, dass er darin nicht innehalten konnte. Das Geld verschaffte ihm keinerlei Erleichterung, im Gegenteil, mit nicht zu bezähmender Leichtigkeit wurde es stets mehr und mehr und steigerte damit seine Schuld, überlebt zu haben. Die überlebenden Armenier entfernten sich immer weiter von dem Leid, das sie hätte heilen können, und bereicherten sich in einem fort. So ging es mit Armenag Manisalian, mit den Israelians, mit den Seferians, mit Avedis Varteresian, Terenig Danelian und Krikor Zambaccian, mit Hartin Fringhian, Hovsep Dudian, mit Micael Noradunghian und vielen anderen. Und so geschah es auch mit Levon Zohrab. Die Macht, die ihn zum Reichtum trieb, auf Mittel und Wege zu sinnen, die Differenz zwischen Einkaufspreis und Verkaufspreis zu vergrößern, war stärker als sein Wunsch, bescheiden und arm zu bleiben und auf diese Weise die Sünde, überlebt zu haben, zu sühnen. Und wenn in seinem Inneren die nicht verheilten Wunden, von der Riffelung der Silbermünzen aufgeschabt, bluteten, vermehrte sich das Geld, verwandelte sich in Gold und Geschmeide und lastete umso schwerer auf ihm. Unfähig, sich dieser Leidenschaft zu widersetzen, die durch seine Venen strömte, weitete er sein Geschäftsfeld aus und zog um nach Bukarest, wo er Micael Noradunghian begegnete. In allen Einzelheiten erklärte ihm dieser, dass man in Rumänien die besten Geschäfte mit der öffentlichen Verwaltung machen könne, und wenn man Zeit sowie die allfälligen Bestechungsgelder sparen wolle, sei es ratsam, gleich auch selber in die Verwaltung einzusteigen. Sodass Levon Zohrab letztlich der oberste Leiter des Tabakmonopols und Besitzer einiger Tabakfabriken wurde.
    Wir wissen nicht, wie groß das Vermögen war, das Levon Zohrab angehäuft hatte. Vielleicht wusste er selber es nicht, nachlässig im Zählen des Geldes, ja möglicherweise sogar eingeschüchtert von der Macht, mit der es auf ihn zukam. Auch konnte er es nicht zu Ende berechnen, denn im Unterschied zu Hartin Fringhian trug er sein Vermögen nie in ein Testament ein. Und diejenigen, die es 1948 beschlagnahmten und ihn beim Tabakmonopol rausschmissen, gaben sich aus leicht verständlichen Gründen keine Mühe mit den einzelnen Konten, den Finanztiteln und den Hartgeldrollen. Gealtert, aus seinen Häusern, den Automobilen und Direktorensesseln vertrieben, untergekrochen in der ehemaligen Dienstbotenmansarde seines Hauses am Dacia-Boulevard, hatte Levon Zohrab nun wieder die Gelegenheit, seinem Vater zu begegnen. Diesmal jedoch, sei es, dass seine gealterte Seele der Strafe nicht mehr so gut standhalten konnte, sei es, dass sein Schmerz jetzt grausamer wütete, schließlich war er nun älter als sein Vater bei dessen Tod, diesmal gedachte er seines Vaters mit Zärtlichkeit, als wäre er sein jüngerer Bruder gewesen, und empfand die damals nicht eingelöste Verpflichtung, den Vater zu beschützen, umso belastender.
    Diese Selbstgespräche Levon Zohrabs, nunmehr zum älteren Bruder seines Vaters geworden, wurden zweimal unterbrochen. Und das dritte Mal, schon auf den Tod vorbereitet, unterbrach er sie selbst.
    Als Erster unterbrach sie Micael Noradunghian, der ihm die Karten übergab. Es ist

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