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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Ja, gut, aber wir wissen ja nicht, wo Dros Gewehre sind ... Und wen kümmert das? Ihr Vergnügen ist nur, dich zu quälen, sie müssen das nicht rauskriegen. Sahag legte sich das Holzpferdchen auf die offene Handfläche: Wir können es nicht einmal jemandem sagen ..., seufzte er. Großvater drehte das Pferdchen um und um. Doch, ich glaube doch ... Es gibt jemanden, dem ich es erzählen und den ich um Rat fragen kann ... Bleib ruhig sitzen ..., flüsterte Sahag. Das fehlte uns noch, dass die was von
Nemesis
hören ... Sie sprachen im Flüsterton, gewiss, und mitten im Hof, um von jeder Seite des Zaunes möglichst weit weg zu sein, im Schutz des alten Aprikosenbaumes. Wem kannst du so etwas sagen, wem kannst du so sehr vertrauen? Ich rede vom Beichtgeheimnis, sagte Großvater. Der Mampre? Sahag prustete. Gibt es etwas, das der Alte nicht sofort seiner Frau und seiner Tochter erzählt? Ich rede nicht von Der Mampre. Sondern von Vazken Balgian, unserem Bischof.
    Sahag Șeitanian schloss frühmorgens seinen Kiosk mit Süßwaren beim Bahnhof auf, bereitete auf seinem Primuskocher Kaffee vor, den sie dann beide gemächlich tranken. Dann fuhr Großvater nach Bukarest, um dem Bischof dieses Geheimnis anzuvertrauen, das in diesen Zeiten, da Geheimnisse so schwer zu bewahren waren, umso gewichtiger war.
    Das
Buch des Flüsterns
ist keine Chronik der erlebten oder imaginierten Dinge, sondern der Dinge, die jemandem anvertraut wurden. Was jedoch diesen Teil unserer Geschichte betrifft, so bleibt sie uns gänzlich unbekannt, denn uns fehlt nicht bloß jede Mitteilung darüber, sondern wir können uns den Fortgang der Dinge auch nicht vorstellen – wie es auch bei der Begegnung zwischen Onik Tokatlian und Mesia Hacerian der Fall war. Wir wissen, dass Großvater nach Bukarest gefahren und sogleich zum Bischofssitz in der Armenischen Straße gegangen ist. Nur dass ihn anstelle von Asadur, dem Hausmeister, vor dem Tor ein Milizmann empfing, der ihn kurz aufforderte, weiterzugehen. Großvater schaute ihm über die Schulter, um doch wenigstens zu sehen, was dort geschah. Die Fenster waren geschlossen, und die einzige Erklärung, die ihm der Milizmann gab, bevor er ihn noch einmal aufforderte, sich davonzumachen, war, dass es an diesem Abend keine Tanzveranstaltung geben werde. Ratlos suchte Großvater im Nachbarhof, bei der Kathedrale, nach Partogh, dem Glöckner mit der gebrochenen Nase, und erst dieser klärte ihn auf, wie die Dinge standen. Eines Nachts hatten die von der Armenischen Front in Begleitung der Miliz an die hinteren Fenster geklopft, wo die Zimmer von Bischof Vazken und Diramayr, seiner alten Mutter, lagen, und sie aufgefordert, binnen zwei Stunden von dort zu verschwinden. Mitten in der Nacht fanden sich Vazken und seine Mutter, die noch irgendetwas in zwei Jutesäcke hatten packen können, unter freiem Himmel wieder. So fand ich sie am frühen Morgen auf den Kirchentreppen sitzen, sie dösten auf den Säcken vor sich hin und zitterten vor Kälte, fügte Partogh hinzu. Eine Zeitlang hausten sie in den Kanzleibüros auf dem Kirchhof, dann zogen sie in die zwei darüber liegenden Zimmer, die ich inzwischen für sie hergerichtet hatte. Der Bischof hat sich nicht beklagt, auch seine Mutter nicht, damit es ihr nicht aufs Herz schlage, aber was hat der Arme alles durchmachen müssen, es ist eine Schande. Und warum steht der Milizmann vor dem Tor des Bischofssitzes? Wo stehen die denn nicht? Damit niemand ohne einen Befehl dazu hineingeht, vor allem der Bischof selber. Eine Weile war es ein Lager für allerlei alten Kram, Sachen, die sie aus den Kirchen zusammengetragen hatten, Bücher, Archive, Kirchengewänder. Dann haben sie die Sachen weggeschafft und verbrannt, die Bücher zuerst. Anschließend haben sie den Sitz der Armenischen Front darin untergebracht, aber denen hat es nichts genützt, schließlich haben die Kommunisten, die sie geschaffen hatten, damit sie uns andere vernichten, auch sie abgeschafft. Jetzt ist eine Art Club drin, die Jugend trifft sich hier zum Tanzen, wenn sie nicht ausgerechnet auf den Dielen des Bischofssitzes tanzten, wäre es richtig schön, es kommen auch Rumänen. Großvater, der seit zwei Jahren, als man ihn ins Innenministerium einbestellt hatte, um schriftlich die rumänische Staatsbürgerschaft zu beantragen, nicht mehr in Bukarest gewesen ist, war entsetzt. Aber Vazken Balgian empfing ihn sanft lächelnd und mit der gleichen Freude wie immer. Bevor jedoch Großvater etwas sagen konnte,

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