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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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über die Sieger, die Besiegten, nun ja, die werden erwähnt, um den Sieg ruhmreicher zu gestalten, und die Pferde zählen zu den Besiegten, deren Erwähnung niemandes Ruhm mehrt, es ist ruhmreicher, Menschen umzubringen als Pferde, denn Menschen können sich widersetzen.
    Das
Buch des Flüsterns
erzählt, da es nicht für herrschaftliche Höfe geschrieben worden ist, vor allem von den Besiegten. Die entweder zu den Schwachen gehörten oder sich entschieden haben, zu den Besiegten zu gehören, weil das, was sie erringen wollten, nicht von dieser Welt war. Deshalb ist es selbstverständlich, dass in solch einer Geschichte die Menschen und die Pferde nicht unabhängig voneinander dargestellt werden können.
    Vielleicht bin ich durch das kleine Holzpferdchen zum Erzähler im
Buch des Flüsterns
bestimmt worden. Es war kein verlockendes Spielzeug. In meiner Kindheit waren die Spielsachen mit Motoren und Lämpchen, die blinken und rattern, wenn sie sich bewegen, noch nicht erfunden worden. Die Spielsachen meiner Kindheit waren unbeweglich und still. Ich hatte einige mit Werg gefüllte Stoffpuppen, die noch aus der Zeit stammten, als Großmutter Arșaluis und ihre Schwester Armenuhi sich nach dem Krieg gezwungen sahen, ihr Hutgeschäft zu schließen, und deshalb Puppen machten und für wenig Geld verkauften. Ich hatte auch einen etwas größeren, weich anzufassenden Elefanten und einen Plastiklöwen, dem ich mit meinen ersten vereinzelten Zähnen gerne in die Beine biss. Und es gab noch das Holzpferdchen, das eben deshalb alles überstanden hatte, weil man nicht mit ihm balgen, nicht hineinbeißen und es nicht verbiegen konnte. Ich hatte es von niemandem geschenkt bekommen, ich fand es eines Tages auf dem Brettchen neben dem Ofen, bei dem dicken, mit Bindfäden verschnürten Heft mit der Aufschrift »Nemesis«. Doch damals konnte ich noch nicht lesen, und selbst wenn ich es schon gekonnt hätte, wäre ich nicht imstande gewesen, zwischen der Rachegöttin, den mit sepiafarbener Tinte eingetragenen Namen und dem etwa fünfzehn Zentimeter langen, irgendwie ungeschickt mit dem Taschenmesser aus Holz geschnitzten und in einer undefinierbaren Farbe gestrichenen Pferdchen eine Verbindung herzustellen. Ich mochte es am meisten, weil es mir eben niemand geschenkt hatte, ich hatte es gefunden, und es war meines geworden, außerdem hatten sie es mir wegnehmen wollen. Das Holzpferdchen war Grund und Gegenstand meiner ersten Widersetzlichkeit. Damit darfst du nicht spielen!, sagte Sahag Șeitanian, und was hätte ich sonst tun können, als auf einen Baum zu klettern, dorthin, wo ich von den Erwachsenen nicht erwischt werden konnte. Sie sprachen leise, aber man weiß ja, dass Kinder auch Flüstern gut hören können. Lass ihn, sagte Großvater, er weiß nichts davon und hat keine Schuld. Schließlich hat er recht, das Holzpferdchen ist schließlich ein Spielzeug ... Was soll das für ein Spielzeug sein?, fauchte Sahag Șeitanian, der mit Spielzeug nicht vertraut war und keine Kinder hatte, die ihn mit der selbst nicht erlebten Kindheit hätten vertraut machen können. Was will man denn mit so etwas spielen? Du siehst ja ..., antwortete Großvater in der Gewissheit einer endgültigen Wahrheit. Dann machte er mir ein Zeichen, mitsamt dem Pferdchen herunterzukommen, und damit ich sichergehen konnte, alles richtig verstanden zu haben, steckte ich es unter die Bettdecke und hielt es beim Einschlafen in den Armen.
    Das erste Holzpferdchen kam bei uns im Frühling 1951 an. Als man Großvater sagte, es sei ein Paket aus Amerika da, dachte er: Das heißt, dass es meiner Schwester in Argentinien gut geht, sodass sie uns sogar etwas schicken kann. Aber das Paket war nicht aus Argentinien, sondern aus den Vereinigten Staaten. Damals konnte man nicht einfach so hingehen, den Empfang quittieren und sein Paket entgegennehmen. Erst einmal musste man erklären, wer einem das Paket warum geschickt hatte, und wenn einem der Absender genannt worden war, musste man Aussagen über ihn machen, wer das war, auf welche Weise man mit ihm verwandt war, und wenn man nicht verwandt war, wie man die betreffende Person kennengelernt hatte, was das Paket eventuell enthalten könnte, ob man selber um die Zusendung des Pakets gebeten hatte, oder ob der Absender es aus eigenem Antrieb geschickt habe, ob man in brieflichem Kontakt stehe, ob er versprochen habe, einem eine Einladung nach Amerika zu schicken, und was man allgemein davon halte. Misak Torlakian, den kenne

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