Buch des Flüsterns
seine Kinder wies. Aber der Matrose, der ihn nichts gefragt hatte, zeigte sich mit seiner Antwort nicht zufrieden, wie auch immer diese ausgefallen wäre. Dafür ohrfeigte er ihn ein paarmal so kräftig, dass der Mann sich erst auf die eine Seite neigte und dann auf die andere fiel, dabei bedeckte er seine schmerzglühenden Wangen. Der Kapitän deutete mit triumphierendem Lächeln an, dass er warte. Die Passagiere begannen nun, mit gemächlichen Bewegungen ihre Gepäckstücke zu öffnen und die Brote sowie Mehltüten hervorzuholen. Sie kamen der Reihe nach, denn sie brachten es nicht über sich, die Sachen von Hand zu Hand weiterzureichen, und legten ihre Brote bedächtig ab. Dabei stießen sie aneinander, stolperten über den zu Boden Gefallenen. Etliche Mehlsäckchen waren aufgeplatzt. Ein warmer Dunst erhob sich, weißlich und kosend, der sich jedoch schnell verzog, zerteilt auch vom Klang der Sirene, die nun ankündigte, dass hier auf dem Schiff die Sache beendet sei.
Vom Ufer her näherte sich ein Motorboot. Ein dürrer Mann in sowjetischer Offiziersuniform, die Brust voller Orden, stieg an Deck. Der Art nach, wie sich seine dichten schwarzen Brauen über der Wurzel der gekrümmten Nase schlossen, schien er Armenier zu sein. Dann sagte er beim Anblick des Brothaufens und des weißen Pulvers auf Armenisch:
Von nun an müsst ihr nicht mehr das Brot der Fremde essen!
Es waren, je nach Fertigkeit und Vermögen der Leute, Brote der verschiedensten Arten. Runde oder lange, mit glatter Rinde oder geschmückt mit allerlei eingeritztem Flechtwerk, gesäuertes Brot oder flache, ungesäuerte Fladen, die man
Lavash
nannte und die man im Herbst in die Speisekammer legte, um sie danach mit Wasser zu bespritzen und in der Pfanne aufzubacken. Mit Mehl bestreut, in der Sonne glänzend, sahen sie wie bei der Vorbereitung auf eine Hochzeit aus. Acht Matrosen waren vonnöten, um die Plane an den Rändern zu packen und hochzuheben. Die Passagiere trauten sich nicht, ihnen zu helfen, sie traten zur Seite und ließen sie auf die Brüstung zugehen. Dort schwenkten die Matrosen diese ungewöhnliche Last und warfen sie mit einem Ruck ins Meer.
Das Schiff nahm Fahrt auf. Die Brote wurden in den Wirbeln der Schiffsschraube noch einmal durcheinandergemengt. Dann wurde die Brücke an den Kai gelegt, und die Menschen, schwer mit Gepäck beladen, stiegen herab, dabei schauten sie zurück aufs weite Wasser, das mit seiner Macht, aufzuquellen, zu verdauen und aufzulösen, die Teigmassen verschlungen hatte.
Dann erzählte Simon vom erbärmlichen Anblick der Docks, von den schwarzen Gebäuden, von den fehlenden Türen und Fenstern, von den feindseligen Blicken und den barschen Fragen. Wenn man mit Frau und Kindern sowie dem verbliebenen Hab und Gut von einem Ort an einen anderen zieht, wenn man ein Dach über dem Kopf und Arbeit benötigt, machen einem die Leute nur widerwillig Platz, und man bleibt unerwünscht, unabhängig davon, wie man sich nennt: Exilant, Heimatvertriebener, Flüchtling, Repatriierter oder sonst wie. Die Prozeduren waren äußerst langwierig und kompliziert. Alle gingen an einem Tisch vorbei, an dem drei Männer in Militäruniformen saßen, von denen nur einer Armenisch konnte, diejenigen, die alles fragten und jede Antwort aufschrieben, ja sogar noch einiges mehr, waren Russen. Zuerst wurde der Mann aufgerufen, also Simon. Er übergab die Dokumente der gesamten Familie, die einbehalten und währenddessen sorgfältig abgeschrieben wurden. Sie sollten ihnen erst in dem Augenblick wieder ausgehändigt werden, wenn sie sich bei den Autoritäten des Ortes meldeten, dem sie zugeteilt worden waren. Eigentlich kam es nur auf die Repatriierungsbescheinigung an, der Nansen-Pass wurde ihnen niemals mehr zurückgegeben. Dann folgten Fragen über den Geburtsort, und im Fall dass dieser in Anatolien lag, wurde nach Einzelheiten darüber gefragt, wie man nach Rumänien gelangt sei. Dann wurde gefragt, was man getan habe, wovon man gelebt und welchen Beruf man habe, welche Art Politik man gemacht und ob man General Dro kennengelernt habe. Wonach man den Mann aufforderte, auf seine Frau und seine Kinder in der Menge zu zeigen und das Gepäck zu bringen. Der Frau stellte man die gleichen Fragen, die Koffer wurden geöffnet und durchwühlt. Wer mit seinen Antworten fertig war, ging in eine Baracke, an deren Tür bewaffnete Soldaten Wache hielten. Sodass sie nicht mit den noch Wartenden sprechen konnten, um sie über die Art der Fragen
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