Buch des Flüsterns
das seinen Triumph nun mit Konrad Adenauers Deutschland teilte, verliert in Afrika Gebiet um Gebiet: den Sudan, den Tschad, Kongo Brazzaville, Gabun und die Zentralafrikanische Republik, während Algerien sich zunehmend separiert und nur noch in den Büchern von Albert Camus wirklich französisch bleibt. Fidel Castro bestürmt Havanna, Faisal wird wie in einem verspäteten Echo der britischen Politik zur Zeit des Lawrence von Arabien Premierminister von Saudi-Arabien, während ein anderer Faisal, der junge König des Irak, bei einem Attentat ermordet wird, doch schließen sich der Irak und Jordanien nach dem Modell der Vereinigten Arabischen Republik zusammen und gehen noch schneller wieder auseinander als der neue, von Nasser geführte Staat.
Der Kalte Krieg auf der Erde erhitzt auch den Himmel. Die UdSSR setzt ihre Sputnik-Serie fort, während die USA ihre Explorer-Staffel auflegen und die Nasa gründen. In seinem Innersten durch den Unfug dieser Satellitenflüge verletzt, rächt sich der Himmel, wie und wo er kann. Der Fußballclub Manchester United verliert zwei Drittel seiner Mannschaft bei einem tragischen Unfall. Dem Kapitän der aus Belgrad mit der Fußballmannschaft zurückkehrenden Maschine missglückte der Start nach einem Tankstopp in München, zuvor hatte sich die Mannschaft mit einem Unentschieden gegen Roter Stern für das Europapokal-Halbfinale qualifiziert. Acht Spieler, darunter auch der Mannschaftskapitän Roger Byrne, kamen damals zu Tode. Der Trainer, der legendäre Matt Busby, und einer der Idole meiner Kindheit, der Held von 1966, der Stürmer Bobby Charlton, überlebten.
Wie fast immer, wenn er spürt, dass die Menschen ihren Glauben verlieren, beschloss Gott, den Papst zu sich zu bestellen; diesmal handelte es sich um Pius XII., der ein fast zwanzigjähriges Pontifikat absolviert hatte, während dessen er den Vatikan mit Geschick geführt hatte, wie die einen meinten, wohingegen andere der Meinung waren, er habe zu viele unerlaubte Konzessionen gemacht, was stets geschieht, wenn man sich gezwungen sieht, als Hüter seine Herde durch allerlei kalte und heiße Kriege zu steuern. Er selbst, im Zweifel um den Sinn der eigenen Existenz, verfasste vor seinem Tod die Enzyklika
Meminisse iuvat
, in der er zur Rückkehr zu den christlichen Werten aufruft, damit sich die Welt endlich läutern könne. Werte, die sein Nachfolger Johannes XXIII. ein Jahr darauf in seiner ersten Enzyklika,
Ad Petri Cathedram
, aufzählt: die Wahrheit, die Einheit und den Frieden. Prinzipien, die, wenn wir an die Jahre denken, die dann folgten, allein in den schönen Bibliotheken des Vatikans und in den Aufzählungen der päpstlichen Biografen verblieben. Die Revolutionen und Kriege, zu Friedenszeiten durchsetzt von Attentaten, setzten sich fort und schufen ein unerschöpfliches Material für künftige Enzykliken.
Wenn die Kriegswunden sich im Jazz-Rhythmus schlossen und die Schmerzen im Rhythmus des Blues abklangen, so trugen sich die kalten und heißen Kriege des Jahres 1958 zwischen Westeuropa und dem kommunistischen Teil des Kontinents, wobei die Kontrahenten wie Leichenfledderer, als ginge es um einen auf dem Schlachtfeld liegengebliebenen Lumpen, an West-Berlin zerrten, im Cha-Cha-Rhythmus zu, Kriege zwischen einem China, das sich in Sprüngen nach vorne rückwärts bewegte, und einem noch linkischen Taiwan, zwischen Frankreich und den Rebellen im Norden Afrikas, zwischen der CIA und der indonesischen Regierung unter General Sukarno, die Bürgerkriege im Libanon und im Irak, ja sogar die Kriege der Satelliten, die Revolutionen, durch die müde Diktatoren vertrieben wurden und frischere an ihre Stelle traten, alles im Cha-Cha-Rhythmus, genauer im Rhythmus des Cha-Cha-Cha. Drei schnelle Schritte, »cha«, »cha« und nochmals »cha«, dann einen Schritt zurück, als wären die Dinge zu schnell vorangestürmt. Die andere Hälfte, die sich nicht in Kriegen verausgabt, die jenseits der in Bewegung geratenen Karten die Kinder Afrikas mit den geblähten Bäuchen und den streichholzdünnen Hungerarmen sieht und die Kälte der kommenden Regenschauer spürt, die aus den schwarzen, aus dem Bauch der Erde über dem Bikini-Atoll oder den Christmas-Inseln aufsteigenden Wolken fallen werden – welch eine Ironie, die Namen dieser Inseln mit Atomwaffentests zu verbinden – die andere Hälfte also träumt noch angesichts dieses Weges, der zu lang ist, als dass man an sein Ende gelangen könnte.
Dmitri Schostakowitsch, der
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