Buch des Flüsterns
Komponist der beiden Klavierkonzerte, befindet sich in Paris. Auf der gleichen Seite der Mauer sind auch Truman Capote und Jack Kerouac, die vom wachen Leid und von Irrfahrten schreiben. Auf der anderen Seite schreibt Boris Pasternak den
Doktor Schiwago
, eine Art
Archipel Gulag
jener Menschen, die sich noch in Freiheit befinden, und in denen zu allen Schmerzen des Gulag noch das Leid aus Liebe hinzutritt. Boris Pasternak wird von den sowjetischen Behörden gezwungen, den Nobelpreis abzulehnen, aber er bleibt, am Fuße der Mauer, der große Gewinner des Jahres 1958. Und auf dem Mauerrundgang, weder auf der westlichen noch auf der östlichen Seite des Bauwerks seinen Platz findend, Albert Camus, der unablässig raucht.
Vladimir Nabokov hatte drei Jahre zuvor
Lolita
geschrieben, und, ganz und gar merkwürdig, eine Art tragischer Lolita, die auf den Namen Marilyn Van Derbur hört, gewinnt den Titel der Miss America. Sie wird viele Jahre später die Vergewaltigungen enthüllen, die sie während ihrer Kindheit durch ihren Vater zu erleiden hatte, und für die Linderung des verschwiegenen Leids kämpfen, das die inzestuösen Dramen hervorrufen.
Unzufrieden mit den Königen, welche ihnen die Dynastien anboten, die ihre Paläste beherbergten und die ihre siegreichen, dabei trotzdem kläglich scheiternden Revolutionen losbrechen ließen, schufen sich die Menschen ihre eigenen Könige, Könige der näherliegenden Fertigkeiten, die sie in freundlicheren Räumen empfingen, wie es die Stadions oder die Konzertsäle waren. Die neuen Könige waren jung, und ihre Herrschaft sollte niemals enden. Einer von ihnen, Elvis Presley, wurde zum König des Rock. Wenn der Cha-Cha-Cha, der Salontanz des Jahres 1958, aus dem Mambo entsprungen und, selber dann den Salsa gebärend, aus Lateinamerika gekommen war, kam der Rock von nirgendwo, er hatte sich schon über ein Jahrhundert am gleichen Ort aufgehalten, in den Randgebieten von Memphis, die von Schwarzen bewohnt waren, welche den Blues von Robert Johnson oder John Lee Hooker mit den Gospels vermengten, die in den Kirchen gesungen wurden. 1958 wurde Elvis Presley zur Armee eingezogen und nach Deutschland geschickt, was die Sehnsucht der hingerissenen Mädchen schier ins Maßlose steigerte und den Legendenbastlern die Gelegenheit bot, ihn noch dauerhafter auf ihren Sockel zu heben, zumal dieser auf dem Fundament seiner Abwesenheit errichtet war.
Der andere König des Jahres 1958, als solcher geboren und nicht dazu gemacht, war Pelé, der König des Fußballs. Brasilien wurde in diesem Jahr mit einer Mannschaft Weltmeister, zu der Gilmar gehörte, die beiden Santos, Garrincha, dessen eines Bein kürzer war als das andere, Zagalo und die anderen, deren Namen wie das Rauschen der Regentropfen klangen: Didi, Vava, Zito und Pelé. Und siehe, wie der Achtzehnjährige vor Freude weint, nachdem er den Franzosen der Kopa und Fontaine im Halbfinale drei Tore eingeschenkt hatte und den Schweden zwei im Finale, er weinte so, wie die lorbeergekrönten Könige zu weinen verstehen, aber niemals die mit Edelsteinen gekrönten Häupter.
1958 war das Jahr der Konfusionen und der Luzidität. Was Ersteres angeht, so hat sich das Jahr selber in Alfred Hitchcocks Film
Vertigo
mit James Stewart und Kim Novak als Protagonisten beschrieben. Und die Luzidität: die Erfindung des Lasers. Konfusion und Präzision: wie eine Waffe mit Zielfernrohr, die langsam über den Köpfen der Menge kreist, dabei zielt und zufällig schießt. Diese vermischten Erfindungen des Jahres 1958 kündigten auf ihre Weise den Genozid der zweiten Jahrhunderthälfte an, und zwar den MORD DURCH ZUFALL, der sich, wie man sieht, gegen das schweigsame und verwunderte Volk der unverhofft Ermordeten oder Bedrohten richtete. Eine Kombination, bei der nur Ersterer gewinnen kann: Einer setzt den Zweck, der andere das Blut.
Und diejenigen, die Zweck und Blut zum Einsatz brachten, zogen sich nach und nach in die Wüsten oder ins Gebirge zurück. Im Jahre 1958 war Rumänien das einzige Land verblieben, in dem es noch einen antikommunistischen Widerstand gab. Er sollte noch bis ins Jahr 1962 anhalten. Der letzte Widerstandsheld war ein Bauer namens Ion Banda, der von den Truppen der Securitate in den Banater Bergen umgebracht wurde.
1958 starb Petru Groza. Man hat ihm ein überaus prächtiges Begräbnis ausgerichtet. Ion Gheorghe Maurer folgte auf ihn als Präsident der Großen Nationalversammlung. Während Rumänien in den auswärtigen
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