Buch des Flüsterns
Angelegenheiten allerlei Verträge unterzeichnete, verschärfte sich im Inneren die Repression, damit die Russen sahen, dass die Regierung die Situation beherrschte und die Rote Armee sich unbesorgt vom Gebiet Rumäniens zurückziehen konnte. Und die Repression wandte sich, praktischerweise, vor allem gegen die Intellektualität. Die Jugendlichen, die nach der Revolution in Ungarn verhört wurden, entfernte man aus den Universitäten. Constantin Noica, Arșavir Acterian und viele andere wurden eingesperrt. Ebenso die Begründer des »Flammenden Scheiterhaufens«. 14 Pater Daniel Tudor starb kurz nach seiner Verhaftung im Gefängnis, und der Dichter Vasile Voiculescu ist ein paar Monate nach dem Ende seiner Haft gestorben. Ebenso wurden Arsene Papacioc, der spätere große Seelsorger, und Dumitru Stăniloaie eingesperrt. Ihr wolltet mit eurem flammenden Scheiterhaufen den Kommunismus in Brand setzen!, brüllte der Staatsanwalt. Und trotzdem schwelte das Feuer auch noch dreißig Jahre danach.
Die alten Henker des Leibes und der Seele sind beseitigt: Iosif Chișinevschi oder Mihail Roller, der sich, ganz und gar unerklärlich bei diesem Menschenschlag, umbringt. Also nicht in den Selbstmord getrieben wird, sondern sich richtiggehend umbringt. Damals verschärften die neuen Henker die Hatz. Auf wohlhabende Bauern, auf Kaufleute. Es begannen entbehrungsreiche Anstrengungen zur Industrialisierung. Wie in China verarmten die Leute umso mehr, als die Wirtschaftstätigkeit zunahm. Was sollen wir tun?, fragte Gheorghe Gheorghiu-Dej Nichita Chruschtschow. Mit seinem zahnlückigen Grinsen, das auch den Schlag mit dem Schuh aufs Pult der Vereinten Nationen begleiten sollte, gab er ihm einen weisen, typisch sowjetischen Rat: Verkauft die Juden! Was auch geschah. Die Preise wurden pro Kopf festgelegt. Erst später hat Ceaușescu die Preise den Anforderungen des Marktes angepasst, selbst wenn die solcherart festgesetzten Preise nicht zum Wertesystem der Diktatur des Proletariats passten: und zwar um das Mehrfache höhere Preise für einen Intellektuellen als für einen Arbeiter. Und da es unter den Juden viele Intellektuelle gab, blühte der Handel und gedieh.
Das Leben fließt dahin. Mit den Gewehren der Securitate von jedem Rest antikommunistischen Widerstands gereinigt, werden die Wälder in der Region Hațeg nach zwei Jahrhunderten wieder mit Wisenten bevölkert. Das erste Paar wird aus Polen gebracht, und zu seinen Ehren wird eine Briefmarkenserie aufgelegt. In Rumänien wird das Fernsehen eingeführt. Und es gibt ein paar neue Filme:
Zwei Nachbarn
von Geo Saizescu und
Hallo, falsch verbunden
, Komödien mit jungen und schönen Schauspielern: Iurie Darie, Ștefan Tapalagă, Rodica Tapalagă, Stela Popescu. Drei Jahre nach dem Tod des Maestros findet das erste Festival George Enescu statt. Die neue Nomenklatura applaudiert Yehudi Menuhin und David Oistrach zu Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen, dirigiert von George Georgescu, dem man bei dieser Gelegenheit seine germanophilen Gefühle vergibt. David Ohanesian empfängt Ovationen zum ersten rumänischen
Oedipus
, den Constantin Silvestri dirigiert. Iolanda Balaș erringt ihren ersten Titel als Europameisterin im Hochsprung, und Petrolul Ploiești gewinnt unter ihrem Kapitän Pahonțu die nationale Fußballmeisterschaft.
In unserem Hof in Focșani versammeln sich nachmittags die Alten auf der Bank unter dem Aprikosenbaum und erzählen von den Sonnenuntergängen am Ufer des Bosporus und vom Geschmack der Trauben in ihrer Kindheit. Die jungen Leute überbieten den Jahresplan und werden gewiss auch den Fünfjahresplan überbieten, sie schreiten stolz im Stil von Sergiu Malagamba einher und fahren samstags mit den Kübelwagen des Betriebs ins Grüne. In unserer Straße kehrt Carol Spiegel aus dem Gefängnis zurück und wird nach kaum drei Monaten von neuem verhaftet. Als er 1964 dann tatsächlich zurückkehrt, geschieht dies nur aufgrund des schwer zu begreifenden Eigensinns, woanders sterben zu wollen als unter den gleichgültigen Blicken der Gefängniswärter.
Temelie, der Tischler, und Mitică, der irre Holzmacher, jeder gibt und kleidet sich auf eigene Weise, überqueren am 10. Mai die Straße und gehen zum Heldendenkmal. Sie sind die Einzigen, die am Tag der Dynastie noch die Helden ehren, denn die an den Wänden angebrachten Lautsprecher trällern in russischer Tonalität patriotische Lieder, und zwar schon am Tag davor, am 9. Mai, dem Tag des Sieges über das
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