Buch des Todes
unter Verdacht hatten, versucht hat, sich das Leben zu nehmen«, sagte er.
»Wir vergessen überhaupt nichts«, sagte Brattberg scharf. »Hauptsache, wir finden ihn.«
Odd Singsaker durfte einen Streifenwagen nehmen und fuhr vor den anderen zur Gunnerusbibliothek. Noch bevor er ankam, hatte er Per Ottar Hornemann am Telefon. Seine Stimme klang scharf, was bei dem Druck, unter dem er stand, nicht verwunderlich war.
»Es ist weg!«, sagte er.
»Was ist weg?«, fragte Singsaker, presste sich das Handy ans Ohr und manövrierte den Wagen durch den dichten Verkehr in der Olav Tryggvasons gate. Die Ampel vor Mox Næss’ altem Buchladen war rot.
»Das Johannesbuc h !«, tönte Hornemanns Stimme. »Das Johannesbuch ist weg. Es ist verschwunden, nachdem Gunn Brita in die Rechtsmedizin gebracht worden ist und wir den Sicherheitstrakt gestern Nachmittag verriegelt haben. Ich habe selbst abgeschlossen und weiß mit Sicherheit, dass das Johannesbuch da noch da war.«
»Wie ist denn so etwas möglich? Gibt es Spuren eines Einbruchs?«
»Nein, wer immer da drin gewesen ist, muss beide Codes gehabt haben. Und die kenne nur ich. Und wir haben erst am Montagmorgen, als Siri Holm ihre Stelle angetreten hat, den Code gewechselt.«
»Wenn ich es richtig verstehe, haben nur Sie, Siri Holm und Jon Vatten den Code, sonst niemand?«
»Das ist richtig, und nur ich kenne beide Codes.«
»Und Vatten ist heute, wie ich gehört haben, nicht bei der Arbeit erschienen.Was ist mit Siri Holm. Ist sie da?«
»Nein, das ist es ja, was mir Sorgen macht. Sie ist auch nicht da. Sie und Vatten sind die Einzigen, die heute früh nicht zu der extra einberufenen Morgenbesprechung gekommen sind.Wir wollten darüber diskutieren, mit welcher gemeinsamen Strategie wir die schwierige Situation, in der wir gelandet sind, meistern können.«
Die Ampel sprang auf Grün.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte er. »Ich bin in zehn Minuten da.«
Er trat das Gaspedal durch und merkte, dass es ihm mehr Sorgen bereitete, dass Siri Holm nicht zur Arbeit erschienen war, als es sich für einen professionellen Ermittler schickte.
Hornemann war blass und sah so alt und müde aus, wie Singsaker sich fühlte. Er saß in seinem asketischen Büro und starrte Singsaker leicht wirr an. Der Kommissar hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und fragte sich, wie diese Büchermenschen wohl tickten. Hornemann schien der Verlust seines wertvollsten Buches viel mehr aus der Bahn zu werfen als die Tatsache, dass eine seiner Angestellten tot in der Bibliothek aufgefunden worden war.Aber vielleicht war es auch einfach nur die Summe der schrecklichen Ereignisse. Singsaker nahm das Moleskin-Buch hervor, das, seit er es geschenkt bekommen hatte, unbenutzt in seiner Gesäßtasche steckte. Er hatte auch jetzt nicht vor, sich Notizen zu machen, wusste aber, dass ein Notizbuch auf manche Menschen einen beruhigenden Effekt hatte. Er entschied sich für die direkte Methode.
»Wann haben Sie bemerkt, dass das Johannesbuch verschwunden ist – vor oder nach der Morgenbesprechung?«, fragte er.
Hornemanns Augen klarten etwas auf, als er zu reden begann:
»Danach. Ich bin direkt von der Sitzung zum Sicherheitstrakt gegangen. Da war es etwa Viertel vor neun. Fünfzehn Minuten später habe ich Sie angerufen.«
»Danke, das habe ich mir notiert«, sagte er und blätterte durch sein leeres Notizbuch. »Aber warum sind Sie überhaupt in den Sicherheitstrakt gegangen? Haben Ihnen meine Kollegen von der Kriminaltechnik nicht gesagt, dass dieser Bereich der Bibliothek bis auf Weiteres gesperrt bleiben muss?«
»Schon, aber Sie wissen ja, dass ich hier die Leitung habe. Ich fühlte deshalb eine gewisse Verantwortung. Ich hatte bemerkt, dass die Überwachungskamera nicht eingeschaltet war, seit sie gestern Nachmittag mit Vatten da drin waren. Ich wollte einfach nur kontrollieren, dass alles in Ordnung ist.«
»Dass niemand etwas mitgenommen hat?«
»Genau.«
»Hatten Sie denn die Befürchtung, dass das passiert sein könnte? In Anbetracht der Tatsache, wer Zugang hat. Ich muss Sie deshalb fragen: Hatten Sie Grund zu dem Verdacht, dass jemand Unbefugtes im Sicherheitstrakt war?«
»Nein, rational gesehen nicht. Es war mehr ein Gefühl. Die Verantwortung für unsere Büchersammlung habe ich schon immer sehr ernst genommen. Das Johannesbuch ist von nationaler Bedeutung. Das ist ein Kleinod. Und es befindet sich nur deshalb hier, weil der Bauer, der es abgegeben hat, diese Bedingung gestellt hat. Sonst
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