Buch des Todes
sah den Hund an, der hochmütig nach oben schaute.
»Ist das deiner?«
»Nein, der ist mir zugelaufen, und ich habe ihn mit der Leine, die ich rein zufällig dabeihatte, eingefangen«, lachte sie neckend. »Bestimmt gehört er zu dem lokalen Stamm der afghanischen Windhunde.«
»Okay, dumme Frage. Ich hatte irgendwie nicht erwartet, dass du einen Hund hast.«
»Es gibt sicher einiges an mir, das du nicht erwarten würdest.« Sie lächelte und hielt seinen Blick so lange fest, dass er rot wurde. »Wenn du einen Sonntagsspaziergang machst, hast du doch sicher Zeit für eine Tasse Tee bei mir.«
Er zögerte.
»Komm schon, ich verspreche auch, nicht über dich herzufallen – jedenfalls nicht gleich.«
Siri Holm war mindestens fünfzehn Jahre jünger als er, und wenn er ehrlich sein sollte, kannte er wenig Frauen in ihrem Alter. Trotzdem glaubte er nicht, dass sich die jungen Frauen sonderlich verändert hatten, seit er selbst Anfang zwanzig gewesen war. Sie war nicht nur jung, sondern sehr speziell. Wenn er sie beim Wort nahm und ihre Signale richtig interpretierte, das Lächeln und die Art, wie sie die Hand auf seine Schulter legte, wenn sie mit ihm sprach, gab es kaum einen Zweifel, dass sie ihn anzumachen versuchte. Trotzdem zweifelte er, schließlich konnte sie ja nicht die ganze Welt anmachen. Vermutlich war das einfach nur ihre Art.
»Hast du auch Kaffee?«, fragte er.
Sie hatte keinen Kaffee, aber er ging trotzdem mit ihr nach Hause. Sie wohnte in einer Zweizimmerwohnung in einem Holzhaus oben in Rosenborg mit Aussicht über die Stadt und den Fjord. Die Wohnung hatte sie von ihremVater bekommen, der, wie sie sagte, etwas zu leicht zu sehr viel Geld gekommen war.
Vatten wusste, was Unordnung war. Mehrere Räume in seinem Haus waren vollgestopft mit alten Büchern, Magazinen, Zeitschriften und unbrauchbaren Gegenständen. Ihm fehlte die Kraft, dort einmal aufzuräumen.Aber trotzdem hatte sein Chaos wenigstens eine gewisse Ordnung. Seine Sachen waren in Kisten und Schachteln verstaut. In Siri Holms Wohnung hingegen herrschte das absolute Chaos, eine Unordnung, wie er sie niemals zuvor gesehen hatte. Der einzige Ruhepol war ein Bücherregal an der einen Wand des Raumes, in dem die Bücher überraschend ordentlich aufgereiht waren, alles andere in dieser Wohnung schien sich nicht am richtigen Platz zu befinden.Auf dem Boden lag schmutzige Wäsche, und fast überall, auf dem Couchtisch, dem Teppich, ja sogar unter dem Sofa, stand dreckiges Geschirr. Dazwischen fand sich ein Sammelsurium der merkwürdigsten Raritäten, von Antiquitäten bis zu ausgestopften Tieren. In einem der tiefen Fensterrahmen lag eine Trompete, einer der wenigen Gegenstände, der nicht von Staub bedeckt war. Mitten im Raum stand eine Schaufensterpuppe in einem Taekwondo-Trikot. Um die Hüfte trug sie einen bedrohlichen schwarzen Gürtel.
Den Hund schien dieses Chaos nicht zu stören. Er schlenderte durch den Raum, ohne auf einen Gegenstand zu treten, und legte sich mit verwöhntem Blick auf ein Kissen bei der Küchentür.Vatten blieb stehen und beobachtete, wie sie durch die Tür ging, um Wasser aufzusetzen. Sie musste die Teekanne unter einem Stapel Post und alter Zeitungen ausgraben.
»Willkommen in meinem Raritätenkabinett«, sagte sie, als sie mit zwei Tassen in der Hand ins Wohnzimmer zurückkam. Sie stellte sie an zwei freie Plätze auf dem Tisch, die ihm nicht gleich aufgefallen waren, wischte Bücher und Magazine vom Sofa und bat ihn, Platz zu nehmen.
Als er sich zögernd setzte, ließ sie sich neben ihm aufs Sofa fallen, so dicht, dass er ihr Bein an seinem spürte. Es fühlte sich fest an.
»Wenn ich meinen ersten Lohn kriege, beauftrage ich eine Putzfrau. Ich hasse es, aufzuräumen. Das ist so vergeudete Zeit – findest du nicht auch?«
»Ich dachte, du wärst Bibliothekarin?«, fragte er lakonisch.
»Meine Gedanken und Bücher habe ich im Griff.« Sie zeigte auf das Regal. »Alles andere sind nur Gegenstände, und die sind meistens im Weg.« Sie lachte. »Ich glaube, ich sollte mir einen Freund anschaffen. Auf jeden Fall, bis er mir zwei große Schränke zusammengebaut hat, in denen ich meinen Kram verstauen kann.« Sie legte ihre Hand auf sein Knie. »Hättest du nicht Lust, diesen Job zu übernehmen?«
»Darf ich mir die Bücher mal angucken?«, fragte er, stand auf und wischte sich die Hose glatt.
»Du musst eine Frau nicht bei allem um Erlaubnis fragen, was du sehen willst«, sagte sie. »Fühl dich wie zu
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