Buch des Todes
diese Geschichte immer mit einem Augenzwinkern erzählt. Von dem Fluch hatten sie nichts gemerkt, erzählten sie, und als einer von uns zu bedenken gab, der Fluch sei an diesem Ort ja auch unwirksam, antwortete der Bauer, dass das sicher richtig sei, und dass er deshalb auch nicht für die Folgen garantieren könne, wenn das Buch vom Hof entwendet würde.
Am selben Abend noch lieh ich mir das Buch aus und ging damit zu Bett, und am Morgen danach wusste ich, was für ein Kleinod ich in den Händen hielt.«
»Und was ist mit dem Buch passiert?«
»Es wurde der Gunnerusbibliothek überlassen, in der es noch heute steht.« Dahle hielt inne, und Singsaker sah seinen Augen an, dass er wieder zurück in der Gegenwart war.
»Ist bekannt, wer dieser Büchersammler war«, fragte er, um das Gespräch am Laufen zu halten.
»Nein, das ist ein nach wie vor ungelöstes Rätsel. Natürlich haben viele versucht, diese Frage zu beantworten. Es ist aber niemandem gelungen. Die meisten Spekulationen gehen in Richtung von Bruder Lysholm Knudtzon.«
»Der mit dem Knudtzonsaal?«
»Ja, genau. Er war ein bekannter Büchersammler.Aber das ist auch schon das Einzige, was ihn mit der geheimnisvollen Person auf Fosen verbindet. Sicher ist nur, dass die Person, die das Buch abgeliefert hat, nicht wollte, dass andere davon erfahren. Er kam, gab das Buch mit seiner seltsamen Erklärung ab und verschwand wieder aus der Geschichte.«
»Aber inzwischen wissen wir, dass das Buch von einem Pastor und nicht von einem Mörder geschrieben worden ist?«
»Aus dem Inhalt geht hervor, dass der Autor ein Geistlicher war. Er bezeichnet sich selbst so. Ein Teil seiner Gedanken geht aber, wie bereits erwähnt, über die gängige lutherische Lehre hinaus. Dafür, dass er ein Mörder ist, gibt es im Text keinerlei Hinweise.Andererseits fehlen einige Pergamentseiten des Buches. Sie sind erkennbar herausgerissen worden.Was auf diesen Seiten stand, kann natürlich niemand sagen. Ich weiß noch, dass wir damals unsere Witze darüber gemacht haben, dass der angeblich mörderisch veranlagte Autor womöglich derjenige war, der all die Leute umgebracht hat, deren Knochen wir auf der Wiese hinter dem Bauernhof ausgegraben haben.«
Dahle wurde wieder still.War es gut für ihn, auf andere Gedanken zu kommen? Sprach er deshalb so lange über dieses Buch? Für Singsaker war es wichtig, dass Dahle redete, um sich ein Bild von ihm zu machen.Außerdem hatte er das vage Gefühl, dass all das irgendetwas mit dem Fall zu tun hatte; er wusste nur nicht, wie.
»Diese ausgerissenen Seiten – haben Sie eine Idee, wer das gemacht haben könnte, und wann?«
»Nein, das weiß niemand.Aber es ist passiert, bevor das Buch auf den Hof kam, wo ich es gefunden habe. Sie müssen aber bedenken, dass die Seiten des Buches aus Pergament waren, das an sich schon wertvoll war. Seit dem 12. Jahrhundert wird Papier verwendet und immer seltener Pergament. Trotzdem wird Pergament bis in unsere Zeit benutzt, zum Beispiel für Prachtbände und als Statussymbol. Ein Büchersammler könnte die Seiten herausgerissen haben, um sie einzeln zu verkaufen oder andere Bücher damit einzubinden. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass sie von selbst ausgefallen sind, weil nicht sorgsam genug mit dem Buch umgegangen worden ist.«
»Dieses Johannesbuch muss dann doch einen ungeheuren Wert haben?«
»Ich denke, es ist eines der Bücher, deren Wert gar nicht richtig beziffert werden kann. Dieses Werk ist einzigartig. Etwas Vergleichbares ist hierzulande niemals verkauft worden. Und im Ausland auch nicht«, sagte Dahle. »Als Diebesgut wäre das Buch sicher unverkäuflich, außer man findet einen exzentrischen Millionär«, fügte er hinzu.
»Das gilt doch bestimmt auch für viele der anderen Bücher im Sicherheitstrakt?«, fragte Singsaker.
»Ja, das ist richtig. Halten Sie es etwa für möglich, dass Gunn Brita aus simpler Gier ermordet wurde?«
»Im Moment können wir noch nichts ausschließen«, sagte er.
Als er aber an die Art und Weise des Mordes dachte, sah er ein, dass Raubmord höchst unwahrscheinlich war. Jedenfalls nicht, wenn man es auf Geld abgesehen hatte.Aber vielleicht gab es ja weniger rationale Motive für einen Diebstahl. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass sie bis jetzt einzig Vattens Wort hatten, dass nichts gestohlen worden war. Das musste so schnell wie möglich bestätigt werden.
Nach ein bisschen Small Talk und hohl klingenden, tröstenden Worten verabschiedete er
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