Buch des Todes
Dieses Museum vergisst man nicht so leicht.«
»Und welcher arme Teufel musste seine Haut dafür hergeben?«
»Kein armer Teufel, sondern William Burke, ein Serienmörder. Einer der ersten überhaupt. Du hast doch sicher schon mal von William Burke und William Hare gehört, belesen, wie du bist?«
»Doch, jetzt, wo du es sagst.Waren das nicht zwei Grabräuber in Schottland im 19. Jahrhundert? Die Leichen an Anatomen verkauft haben.«
»Richtig. In Großbritannien durften damals nur an den Leichnamen von Hingerichteten Sektionen vorgenommen werden. Deren Anzahl reichte natürlich bei Weitem nicht aus, um den Bedarf der sich rasant entwickelnden Medizin zu decken. Die Folge war, dass die Anatomen die Leichen für ihre Studien und Vorlesungen von Grabräubern kauften. Offiziell kniff man da gern ein Auge zu. Das Problem mit Burke und Hare war nur, dass sie sich irgendwann nicht mehr damit begnügten, Leichen zu rauben, sondern selber welche zu produzieren.Alles in allem haben sie mindestens siebzehn Menschen getötet und die Leichen an einen Arzt namens Robert Knox verkauft. Ob Knox wusste, woher seine Leichname stammten, ist bis heute unbekannt.«
»Aber wie ist Burkes Haut an dieses Buch gekommen?«
»Nun, Burke und Hare wurden schließlich doch noch vom Arm des Gesetzes eingeholt und hingerichtet. Als zum Tode Verurteilte wurden ihre Körper ironischerweise ganz offiziell zur Sektion freigegeben, und während Burkes Sektion wurde seine Haut gestohlen.Wochen später tauchte sie als Dekoration an einer ganzen Reihe von Gegenständen wieder auf, unter anderem an dem Notizbuch, das ich gesehen habe.«
»Gänsehaut!«, sagte Felicia Stone und betrachtete ihren Arm. Ihre Gedanken wanderten zu Ed Gain, dem Mörder, den Laubach erwähnt hatte, als sie die Leiche von Efrahim Bond zum ersten Mal gesehen hatten. Nach Gains Überführung waren in seiner Wohnung etliche aus Menschenhaut gemachte Gegenstände gefunden worden, unter anderem ein Frauenkostüm, das Gain getragen haben soll, um seine verstorbene Mutter zu personifizieren, aber auch Lampenschirme oder Sitzbezüge.
»Gruselig, ja«, sagte Johnes. »Aber Burke ist im Laufe der Geschichte sicher nicht der Einzige, dem das widerfahren ist. Der Museumsguide hat uns von der Ausgabe eines berühmten Anatomie-Atlasses erzählt, verfasst von einem italienischen Anatomen der Renaissance, Vesalius oder so, der mit Menschenhaut bezogen sein soll. Ebenso die Memoiren des bekannten Straßenräubers James Walton, auch bekannt unter dem Rufnamen The Highwayman . Die sollen übrigens mit seiner eigenen Haut eingebunden worden sein.«
»Bitte, sag mir, dass du das alles nachgeschlagen hast, bevor ich gekommen bin, und nicht noch von deiner Hochzeitsreise weißt«, sagte sie.
»Ein Polizist sollte ein gutes Gedächtnis haben.Außerdem war das wirklich eine schöne Reise. Und jetzt halten wir also ein weiteres Resultat dieser makabren Form der Buchbinderei in den Händen. Ich glaube, wir sollten uns ganz bald mal mit dem Konservator des Poe-Museums unterhalten«, sagte Johnes. »Es hat absolute Priorität, mehr über das rückenfreie Lord-Byron-Buch herauszufinden und über die Menschenhaut, mit der es eingebunden war. Die große Frage lautet schließlich, warum Efrahim Bond den Lederrücken entfernt hat.«
»Wo finde ich den Konservator, und wie heißt er?«
»Einen kleinen Moment«, sagte Johnes und schob die halb gekaute Karottenmasse in seinem Mund hin und her, während er in einem der großen Schreibblocks blätterte, in denen er sich seine Notizen machte. Nur ein Ermittler, der selten sein Büro verließ, um vor Ort zu arbeiten, nutzte ein derart unpraktisches Format.
»John S. Nevins«, sagte er schließlich. »Sein Büro liegt in der Boatwright Memorial Library auf dem Uni-Campus von Richmond.«
Felicia Stone hatte das Gefühl, Johnes würde ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Sie hatte irgendwo gelesen, dass das Gleichgewichtsorgan im Ohr mit Flüssigkeit gefüllt ist und Bewegungen und Kräuselungen der Oberfläche als ein Ungleichgewicht registriert, das ausgeglichen werden muss.Wird diese Flüssigkeit in heftige Bewegungen versetzt, wie wenn ein Kind sich schnell im Kreis dreht, wird einem schwindelig und manchmal sogar übel. Sie saß auf einem Stuhl und starrte ihren Chef an, der noch immer in seinen Block blickte. Obgleich sie saß, schien ihr Gleichgewichtsorgan durch einen Turbomixer gedreht worden zu sein. Sie sah auf ihre Hände und registrierte,
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