Buchanan - 06 - Schattentanz
Du bist auf einmal ganz anders«, meinte er.
»Wie anders?«
»In Nathan’s Bay hast du die Nase ständig in einem Buch oder hockst vor dem Computer. Immer bist du in Gedanken nur beim Geschäft.«
Und nie für einen Spaß zu haben, ergänzte sie im Stillen für ihn.
»Na ja, vielleicht verhältst du dich auch anders«, entgegnete sie.
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht. Irgendwie – netter. Vielleicht kommt das daher, dass du näher an zu Hause bist. Du bist doch in Texas aufgewachsen, oder?«
»Meine Familie ist nach Houston gezogen, als ich acht Jahre alt war. Vorher haben wir in Montana gelebt.«
»Dein Vater war Polizist.«
»Das stimmt.«
»Ebenso wie dein Großvater und dessen Vater …«
»In unserer Familie hat es immer Polizisten gegeben«, sagte er. Er begann wieder, ihren Arm zu streicheln. Es fühlte sich gut an.
»Nick hat mir erzählt, dass du einen Kompass bei dir trägst, der deinem Ururgroßvater gehört hat.«
»Sein Name war Cole Clayborne, und er war Polizist in Montana. Mein Vater hat mir seinen Kompass gegeben, als ich angefangen habe, für Dr. Morganstern zu arbeiten.«
»Damit du dich nie verirrst. Das hat deine Mutter mir erzählt.«
»Ach ja?«
»Und weißt du, was sie mir noch über dich erzählt hat?«
»Was?«
»Sie sagte, sie sei die einzige Frau auf der Welt, von der du dir sagen lässt, was du zu tun hast.«
Noah lachte. »Da hat sie recht.«
Ein Klopfen an Noahs Tür unterbrach sie.
Noah sprang auf, um aufzumachen. Amelia Ann stand mit einem Eimer voller Eis da, in dem ein paar Bierflaschen gekühlt waren.
Sie zögerte kurz und sagte dann: »Hey. Äh – ich weiß ja, dass es ein anstrengender Tag war, die ganze Fahrerei und so. Und ich dachte, Sie hätten vielleicht Durst.« Sie hielt ihm den Eimer hin.
Noah ergriff den Eimer und schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Das ist schrecklich nett von Ihnen. Danke.«
»Wenn Sie Hunger haben«, fuhr sie fort, »könnte ich Ihnen etwas Popcorn machen.«
»Nein, danke. Aber das Bier nehme ich gern.« Er begann, die Tür zu schließen. »Gute Nacht«, sagte er.
Amelia Ann versuchte, ins Zimmer zu blicken. »Wenn ich sonst noch etwas tun kann – wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie in der Rezeption an.«
»Ja, danke«, sagte Noah und schloss die Tür.
Er kehrte in Jordans Zimmer zurück.
»Die Dame, die das Motel leitet – wie war noch mal ihr Name?« Er drehte den Verschluss einer Bierflasche auf.
»Amelia Ann.«
»Ja, Amelia Ann. Sie hat uns Bier gebracht. Das war doch nett, nicht wahr? Willst du auch eins?«, fragte er Jordan.
»Nein, danke«, erwiderte sie. »Ich glaube auch nicht, dass sie es uns gebracht hat.«
Er trank einen Schluck.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du geweint hast«, erinnerte er sie.
»Es ist albern.«
»Erzähl es mir trotzdem.«
»Ich habe diese Geschichte gelesen, die der Professor aufgeschrieben hat, und sie hat mich bewegt. Soll ich sie dir vorlesen? Dann verstehst du, was ich meine.«
»Ja, klar«, sagte Noah und setzte sich aufs Bett.
Mit klarer, sachlicher Stimme begann sie vorzulesen, aber als sie am Ende der tragischen Geschichte angelangt war, kämpfte sie erneut mit den Tränen.
Noah musste unwillkürlich lachen.
»Du steckst voller Überraschungen«, sagte er und reichte ihr die Schachtel mit den Papiertüchern. »Das hätte ich nie vermutet.«
»Was?«
»Dass du so romantisch bist.«
»Romantisch zu sein ist doch nichts Schlimmes.«
Jordan wandte sich wieder den Unterlagen zu und las einen weiteren lächerlichen Bericht über die barbarischen, blutrünstigen Buchanans. Diese Geschichte war nicht romantisch, sondern die detaillierte Beschreibung einer grausigen Schlacht, die laut Professor MacKenna von den Buchanans angezettelt worden war.
»Keine Überraschung«, murmelte sie.
»Hast du etwas gesagt?«
»Der Mann hat Geschichte gelehrt. Mittelalterliche Geschichte. Aber das sind alles nur Märchen.«
Noah lächelte. Wenn Jordan sich so leidenschaftlich ereiferte, leuchtete ihr Gesicht förmlich. Warum war ihm das bisher noch nie aufgefallen? Versonnen trank er noch einen Schluck Bier.
»Ist überhaupt irgendetwas an seinen Forschungsergebnissen dran?«, fragte er.
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Je weiter er in der Geschichte zurückgeht, desto verrückter werden die Legenden. Aber ständig wird erwähnt, dass ein Schatz gestohlen worden ist.«
»Du weißt doch, was man so sagt.«
Jordan nahm ihm die Flasche aus der Hand und
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