Bucheckern
Gewissheit werden, dass es sich um den gesuchten Rucksack handelte.
Dann bemerkte der Kommissar noch einen weiteren Reißverschluss im oberen Teil der Schultasche. Vorsichtig öffnete er ihn und fand eine kleine Plastiktüte, eigentlich wohl ein Gefrierbeutel, verschlossen mit e iner weißen Kunststoffklemme. „Sieht aus wie Sand oder Erde“, war sein erster Eindruck, als er den Beutel in seiner Hand wog und den braunen Inhalt betrachtete. Er wandte sich zu einem Kollegen der Spurensicherung: „Bringt doch bitte die ganze Tasche mal zügig ins Labor. Wichtig ist mir vor allem eine genaue Analyse von dem hier“, und hielt ihm den Beutel hin, bevor er das Fundstück wieder ins Innere schob .
Lindt zog bedächtig an seiner kurzen Pfeife und lehnte sich an den Stamm der Platane, um seine Gedanken etwas zu ordnen. „Mordfall Patrick“ – monatelang hatten sich die Ermittlungen schon hingezogen, ohne ein greifbares Ergebnis zu bringen. An die Berichte und Kommentare in den Medien mochte sich der Kommissar nicht gerne erinnern. ›Schnelle Erfolge, Sensationen‹, sinnierte er, ›das ist es, was die Öffentlichkeit will.‹ Wenn keine Ergebnisse präsentiert werden konnten, waren manche Journalisten gleich mit Kritik bei der Hand.
›Kripo tappt weiter im Dunkeln‹ oder ›Ermittlungen drehen sich im Kreis‹, waren noch eher harmlose Überschriften der Zeitungsberichte im Frühjahr.
Richtig getroffen hatte Lindt ein lokaler Radiosender, wo ein Redakteur nach einem Interview mit ihm meinte, in der freien Wirtschaft würden Führungskräfte mit über fünfzig Jahren zügig ausgetauscht, wenn die Leistungen nachließen. „In der Beiertheimer Allee wird es wirklich Zeit für einen Generationswechsel“, endete damals der Kommentar.
Der Polizeipräsident versicherte ihm zwar umgehend, er würde Lindts erfolgreiche Arbeit sehr schätzen und sei überzeugt, dass er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung auch diesen Fall aufklären könne, aber eine derart in aller Öffentlichkeit geäußerte Kritik nagte doch sehr an Lindts Innerstem. Gerade weil er in den vergangenen Jahren zahllose Ermittlungserfolge vorzuweisen hatte, empfand er die Äußerungen des Radiokommentators als sehr unfair.
Im Fall des getöteten Jungen war von Lindt und seinem Team akribische Kleinarbeit geleistet worden. Wellmann, Sternberg und auch er selbst hatten wochenlang Gespräche geführt, waren von Tür zu Tür gegangen und jeder noch so aussichtslos erscheinenden Spur gefolgt. Eltern, Freunde, Mitschüler, Lehrer wurden auf der Suche nach irgendeinem verwertbaren Hinweis vernommen, doch es gab nichts, was die Ermittlungen vorwärts gebracht hätte.
Auch Albert Berghoff, der Großvater von Patrick, der jetzt auf Lindt zutrat, war damals eingehend befragt worden. Der Junge hatte sich wie üblich am späten Nachmittag von ihm verabschiedet, um nach Hause zu radeln. Dort war er aber nie angekommen.
„Herr Kommissar“, der rundliche untersetzte Mann Mitte sechzig war ganz außer Puste, „ich komme gerade vom Einkaufen, sind Sie mit Ihren Ermittlungen weiter gekommen?“ „Ja, Herr Berghoff“, antwortete der dem pensionierten Triebwagenführer, „wir haben die gesuchte Schultasche endlich gefunden, da im Baum.“ Lindt zeigte nach oben. „Man konnte es erst jetzt beim Laubabfall erkennen. Sie wird momentan im Labor von unseren Technikern untersucht. Wir sind fast sicher, dass der Rucksack aus einem der beiden Dachfenster herausgeworfen wurde und im Baum hängen blieb. Meine beiden Mitarbeiter schauen sich gerade auf dem Dachboden um. Könnten Sie denn mit nach oben kommen? Vielleicht fällt Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches auf?“
Nachdem Berghoff die Einkaufstasche kurz in seiner Wohnung abgestellt hatte, stieg er mit Oskar Lindt über die breite ausgetretene Holztreppe weiter zur Bodentüre. Auf einem Treppenabsatz musste er halt machen und meinte: „Oft komme ich ja nicht hier hoch, ich habe einen Abstellraum im Keller. Es ist bestimmt schon fast ein Jahr her, seit ich mal der Luise Becker aus dem vierten Stock beim Entrümpeln da oben geholfen habe.“
Albert Berghoff, das wusste Lindt noch aus den Ermittlungen nach dem Auffinden des Jungen, hatte sehr an seinem Enkel gehangen. Es war für ihn der zweite Schicksalsschlag in kurzer Zeit, denn Berghoffs Frau war wenige Jahre zuvor an einem urplötzlich aufgetretenen und sehr schnell wachsenden Tumor gestorben. Besonders als Berghoff ein halbes Jahr nach ihrem Tod in den
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