Bucheckern
er, „wer hat sie dann geworfen? Der ermordete Junge, sein Mörder, ein Dritter?“
„Sagen Sie, Herr Berghoff, wie gut kannte sich ihr Enkel im Haus denn aus? Abgeschlossen ist die Dachbodentür ja wohl nicht“, wandte sich der Kommissar an den Großvater des Jungen.
„Ein paar Mal waren wir schon zusammen hier oben“, gab der zur Antwort. „Patrick hat auch mitgeholfen, einige Sachen von der Luise Becker runter zu tragen und im Sommer kamen wir zweimal hoch. Ich wollte ihm die Fledermäuse zeigen.“ Lindt war erstaunt: „Wie, hier drin, Fledermäuse?“ „Ja, ja“, antwortete Berghoff, durch die Lücken im Mauerwerk da drüben können ja selbst die Tauben reinschlüpfen und früher hatten wir im Sommer manchmal bis zu dreißig Tiere an den Dachlatten hängen. Wochenstube nennen die Fachleute das wohl – hab ich mit Patrick zusammen mal nachgelesen. Für die Natur hat er sich immer sehr interessiert.
Aber im letzten Jahr wurden die ganzen Holzteile vom Dachstuhl mit einem Gift gegen Pilze und Insekten behandelt und seither ist es aus mit den Flugkünstlern. Da war der Patrick ganz empört drüber, als wir das da entdeckt haben.“
Berghoff zeigte auf eine Pappkarte, die an einem der senkrechten Stützbalken fest geheftet war. Der Name des Holzschutzmittels und auch der Zeitpunkt der Arbeitsausführung waren von der ausführenden Firma darauf vermerkt worden. „Früher hat man für solche Zwecke sogar Quecksilber verwendet“, knurrte Lindt vor sich hin und stieß erregt einige dicke Rauchwolken aus. „Das ist schon längst verboten, aber die neuen Gifte sind bestimmt auch nicht besser – sieht man ja.“
Paul Wellmann hatte den anderen Stützbalken, neben dem er den dunklen Fleck entdeckt hatte, genauer gemustert. An dessen schräger Seitenstrebe bemerkte er oben noch eine Art rundlicher Einkerbung. Er wandte sich zur Spurensicherung: „Bitte, auch die Stelle hier mal untersuchen, die Delle am Balken meine ich. Vielleicht passt das ja zu dem Rohr von da hinten.“
Lindt warf noch einen abschließenden Blick in das Halbdunkel, wohin die Kollegen der Spurensicherung gerade ihre Halogenstrahler richteten. Dann winkte er Wellmann und Sternberg zu, ihm zu folgen.
„Wir tun unser Möglichstes, Herr Berghoff. Die Spuren hier oben und der Rucksack werden unsere Ermittlungen sicher ein gutes Stück weiterbringen“, verabschiedete er sich und stieg die enge Dachbodentreppe hinunter.
Zurück im Präsidium in der Beiertheimer Allee setzte Lindt erst einmal die Kaffeemaschine in Betrieb und füllte drei Tassen, um zusammen mit seinen beiden Mitarbeitern, die kurz darauf auch eintrafen, ein vorläufiges Resümee des Vormittages zu ziehen.
„Wir müssen natürlich erst mal die Ergebnisse der KTU abwarten“, begann er, „aber was können wir denn jetzt schon mit Sicherheit sagen?“
„Eigentlich nur, dass wir den Schulrucksack von Patrick gefunden haben“, meinte Jan Sternberg.
„Ja, stimmt“, gab ihm Paul Wellmann recht. „Bei allen anderen Gedanken müssen wir das Wort ›wahrscheinlich‹ davor stellen.”
Wahrscheinlich ist das Teil vom Dachbodenfenster aus in die Baumkrone geflogen. Wahrscheinlich war der Junge auf dem Dachboden und wahrscheinlich haben wir das schwere Metallrohr gefunden, mit dem ihm die Kopfverletzung zugefügt worden ist.“
„Immerhin“, warf Sternberg ein, der in den Akten der gerichtsmedizinischen Untersuchung blätterte, „wurden im Bereich der Schädelverletzung kleine Zinkpartikel gefunden. Das könnte zum verzinkten Antennenrohr passen. Auch eine äußere Platzwunde ist hier aufgeführt, sodass es zumindest etwas geblutet haben muss. Passt vielleicht zu dem Fleck, Paul, den du am Balken gefunden hast.“
„Also“, fasste Oskar Lindt zusammen und zog an seiner fast leergerauchten Pfeife, „wir wissen mehr, wenn die Untersuchungsergebnisse vorliegen, aber das kann wohl frühestens morgen gegen Mittag sein. Was tun wir in der Zwischenzeit?“
Er blies einen dünnen Rauchfaden in den Raum und beantwortete sich diese Frage gleich selbst: „Den Großvater Berghoff haben wir damals vernommen – nicht aber seine Nachbarn. Paul und Jan, ihr nehmt Bilder von dem Jungen mit und sprecht mal mit den Hausbewohnern, ob sie sich an ihn erinnern können. Vielleicht gab es auch etwas Besonderes in der fraglichen Zeit im Mai. Der Junge war ja anscheinend oft bei seinem Großvater, da müssen ihn doch viele gekannt haben. Versucht auch in Erfahrung zu bringen, was die
Weitere Kostenlose Bücher