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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Augenscheinlich zettelte er gerade eine Wettfahrt an. Schon bald hatten sie aufgeschlossen und tauchten in wenigen Metern Abstand neben uns auf. An ihrer Bordwand entdeckte ich ein Emblem: ein von einer Wellenlinie durchschnittener Kreis, die eine Hälfte schwarz, die andere weiß, und in beiden wiederum ein kleiner Punkt der jeweils anderen Farbe. Ich meinte darin ein fernöstliches Symbol zu erkennen. Daneben stand, grob mit weißer Farbe hingepinselt:
     
    SCHWARZ ODER WEISS – ALLES EIN SCHEISS
     
    Unser Baschkire schlug auf die Pferde ein, die Tatschanka fiel zurück. Mir schien es unbegreiflich, daß Anna eingewilligt hatte, in einem Wagen mit so unflätiger Schmiererei zu reisen – bis mir der Gedanke kam, daß sie selbst die Losung an die Bordwand des Landauers geschrieben haben konnte. Im nächsten Moment war ich mir dessen fast sicher. Wie wenig wußte ich doch im Grunde von dieser Frau!
    Vom wilden Pfeifen und Johlen der Reiter begleitet, flog unser Trupp über die Steppe dahin. Fünf, sechs Werst legten wir auf diese Weise zurück – die Hügelkette vor dem Horizont war schon so nah herangerückt, daß einzelne, hervorstehende Felsen und auf ihnen wachsende Bäume deutlich auszumachen waren. Das Gelände war längst nicht mehr so eben wie zu Beginn der wilden Fahrt. Manchmal wurden wir mitsamt dem Wagen hoch in die Luft geschleudert, so daß ich schon bangte, die Reise könnte für einen von uns mit einem gebrochenen Genick enden. Da endlich zog Tschapajew die Mauser aus dem Halfter und schoß in die Luft.
    »Genug!« brüllte er. »Im Schritt!«
    Unser Wagen bremste ab. Auch die Reiter – als fürchteten sie, eine durch unsere Hinterachse gehende unsichtbare Linie zu überschreiten – zügelten scharf ihre Pferde und verschwanden einer nach dem anderen hinter unserem Rücken. Der Landauer mit Anna und Kotowski fiel gleichfalls zurück, und nach wenigen Minuten waren wir den anderen so weit voraus wie zu Beginn des Wegs.
    Ich bemerkte eine senkrechte Rauchfahne über den Hügeln: dick und weiß, so wie sie entsteht, wenn man haufenweise Gras und feuchtes Laub ins Feuer wirft. Seltsam war nur, daß sie sich nach oben hin kaum verbreiterte, es sah aus wie eine große, weiße als Himmelsstütze dienende Säule. Weiter als ein Werst konnte es bis dorthin nicht sein; das Feuer selbst schien von einer Anhöhe verdeckt. Wir fuhren gemächlich noch etwas weiter und blieben dann stehen.
    Der Weg stieß hier auf zwei markante kleine Höcker, zwischen denen es nur eine schmale Rinne gab, so daß sie ein natürliches Portal bildeten – und dies derart symmetrisch, daß man sie für zwei alte, vorzeiten halb in die Erde versunkene Türme halten konnte. In der Tat schienen sie eine Art Grenze zu markieren, hinter der sich das Relief der Landschaft änderte – dort begannen die Hügel, die am Horizont ins Gebirge übergingen. Augenscheinlich aber änderte sich hinter dieser Grenze mehr als nur das Relief: Ich spürte eine frische Brise Wind im Gesicht und starrte befremdet auf die nach wie vor in der idealen Senkrechten stehende Rauchsäule, deren unsichtbare Quelle sich ganz in der Nähe befinden mußte.
    »Warum stehen wir?« fragte ich Tschapajew.
    »Wir warten.«
    »Worauf denn? Auf den Feind?«
    Tschapajew schwieg. Erst jetzt merkte ich, daß ich den Säbel zu Hause gelassen hatte, nur den Browning bei mir trug; bei einer Konfrontation mit berittenen Truppen hätte ich mich also in peinlicher Lage befunden. Danach zu urteilen, wie gelassen Tschapajew im Wagen sitzen blieb, schien uns jedoch fürs erste keine Gefahr zu drohen. Ich blickte mich um. Der Landauer stand neben uns. Ich sah Kotowskis bleiches Gesicht – die Hände vor der Brust gefaltet, saß er reglos auf der Hinterbank. Er hatte etwas von einem Opernsänger kurz vor dem Auftritt. Anna, die ich nur von hinten sah, machte sich an den Geschützen zu schaffen – wie mir schien, tat sie das nicht zur Vorbereitung eines Gefechts, sondern um nicht neben dem sich übertrieben pathetisch gebärdenden Kotowski sitzen zu müssen. Die Reiter, die uns eskortierten, hatten in einiger Entfernung haltgemacht, so als fürchteten sie, dem Torwall zu nahe zu kommen; ich sah nur ihre dunklen Silhouetten.
    »Auf wen warten wir denn nun?« erneuerte ich meine Frage.
    »Wir sind mit dem Schwarzen Baron verabredet«, antwortete Tschapajew. »Ich sage Ihnen, Petka, an diese Begegnung werden Sie noch lange denken.«
    »Was ist das für ein seltsamer Spitzname? Ich

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