Buddhas kleiner Finger
nehme an, er hat auch einen richtigen?«
»Ja. Sein richtiger Name ist Jungern von Sternberg.«
»Jungern? Jungern. Irgendwo hab ich das schon gehört. Mit der Psychiatrie hat er nicht zufällig etwas zu tun? Symboldeutung und so weiter?«
Mich traf ein erstaunter Blick.
»Nein. Soweit ich weiß, verachtet er Symbole. Gleich welcher Art.«
»Ach, jetzt fällt's mir ein. Das war doch der, der Ihren Chinesen erschossen hat.«
»Stimmt«, sagte Tschapajew. »Er ist der Beschützer der Inneren Mongolei. Man sagt von ihm, er sei die Inkarnation eines Kriegsgottes. Früher befehligte er die Asiatische Reiterdivision, neuerdings das Sonderregiment der Tibetkosaken.«
»Nie gehört«, sagte ich. »Und warum nennt man ihn den Schwarzen Baron?«
Tschapajew dachte nach.
»Gute Frage«, sagte er. »Das weiß ich gar nicht. Aber warum fragen Sie ihn nicht selbst? Da ist er schon.«
Überrascht wandte ich den Kopf.
In der schmalen Passage zwischen den beiden Hügeln war ein seltsames Etwas aufgetaucht. Bei näherem Hinsehen erkannte ich eine jener altertümlichen und einigermaßen skurrilen Sänften mit gewölbter Überdachung und vier langen Tragestangen, die man Palankin nennt. Dach und Stangen waren offenbar aus Bronze, grünlich gefärbt von den Jahren, und dem Anschein nach mit einer Vielzahl winziger Jadeplättchen besetzt, die ein geheimnisvolles Glänzen hervorriefen – wie Katzenaugen in der Dunkelheit. Ringsum war niemand zu sehen, der die Sänfte bis an diese Stelle hätte getragen haben können; man mußte annehmen, daß die unbekannten Träger, von deren Händen die Stangen wie poliert schienen, sich hinter den Hügeln versteckt hielten.
Der Palankin stand auf gebogenen Stummelfüßchen, die an ein Opfergefäß denken ließen oder ein Pagödchen auf vier winzigen Pfählen. Letzterer Vergleich war naheliegender – schon wegen der Vorhänge aus hauchdünnem, grünem Tüll. Dahinter konnte man die Umrisse eines reglos sitzenden Menschen erkennen.
Tschapajew sprang aus dem Wagen und näherte sich der Sänfte.
»Guten Tag, Baron«, sagte er.
»Guten Tag«, ertönte eine tiefe Stimme hinter der Gardine.
»Ich komme mal wieder mit einem Anliegen«, sagte Tschapajew.
»Auch diesmal nicht aus Eigennutz, nehme ich an.«
»Das ist wahr. Sie erinnern sich an Grigori Kotowski?«
»Ja. Was ist mit ihm?«
»Ich kann ihm einfach nicht begreiflich machen, was Geist ist. Heute morgen brachte er mich so weit, daß ich zur Pistole griff. Alles, was es dazu zu sagen gibt, habe ich ihm Dutzende Male gesagt. Baron, es braucht eine Demonstration, die man nicht vom Tisch wischen kann.«
»Ihre Probleme, lieber Tschapajew, sind recht eintöniger Art. Wo steckt denn Ihr Protegé?«
Tschapajew drehte sich zu dem Wagen um, in dem Kotowski saß, und winkte ihm.
Der Vorhang des Palankins schob sich zur Seite, und ich sah einen Mann um die Vierzig, blond, mit hoher Stirn und kalten, farblosen Augen. Ungeachtet des tatarischen Hängeschnauzers unter der Nase und des Dreitagebarts auf den Wangen erschien sein Gesicht außerordentlich intelligent. Gekleidet war er in einen schwarzen Umhang, halb Robe, halb Uniformmantel, der nach Art gewisser Mongolenkittel mit weitem, halbrundem Ausschnitt versehen war. Auf den Vergleich mit einem Uniformmantel kam man überhaupt nur wegen der Schulterklappen mit Generalsrunen. Er hatte haargenau den gleichen Säbel an der Seite, wie Tschapajew ihn trug, nur war die Quaste am Griff nicht lila, sondern schwarz. An der Brust des Barons prangten gleich drei jener Silbersterne nebeneinander. Flink kletterte er aus dem Palankin (wie sich nun zeigte, war er einen ganzen Kopf größer als ich) und maß mich mit einem langen Blick.
»Wer ist das?«
»Das ist Pjotr Pustota, mein Kommissar«, gab Tschapajew Auskunft. »Hat sich in der Schlacht bei Losowaja verdient gemacht.«
»Ich hörte davon«, sagte der Baron. »Kommt er in gleicher Angelegenheit?«
Tschapajew nickte. Jungern reichte mir die Hand.
»Angenehm, Sie kennenzulernen, Pjotr.«
»Ganz meinerseits, Herr General«, antwortete ich und drückte seine kräftige, trockene Hand.
»Nennen Sie mich einfach Baron«, sagte Jungern, sah Kotowski herankommen und wandte sich ihm zu:
»Grigori! Wie lange ist es her.«
»Guten Tag, Baron. Freut mich von Herzen, Sie zu sehen«, erwiderte Kotowski.
»Ihrer Blässe nach zu urteilen, ist die Freude so riesig, daß alles Blut zum Herzen strömt.«
»Das nicht, Baron. Es ist die Sorge um
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