Buddhas kleiner Finger
und war von da an damit beschäftigt, in regelmäßigen Abständen in die Glut zu spucken.
Das Knallen der Äste im Feuer klang wie Schüsse – mal einzeln, mal in kurzen Salven, man konnte sich dieses Feuer als eine kleine Welt für sich vorstellen, und irgendwelche Winzlinge, deren kaum zu bemerkende Schatten zwischen den Flammen hin und her huschten, kämpften um einen Platz an den ins Feuer niederfallenden Spuckefladen, die die unerträgliche Hitze zumindest für Augenblicke zu lindern versprachen. Gar traurig war das Los dieser kleinen Wesen! Denn selbst wenn einer ihre Lemurenexistenz ahnte, wie hätte er ihnen erklären sollen, daß sie doch gar nicht in das Feuer, sondern in die nächtliche Kühle des Waldes gehörten und daß es genügt hätte, die Hatz nach der Blasen schlagenden Spucke einzustellen, damit alles Leid ein Ende hatte. Das heißt, vielleicht gab es jemanden, der dies vermocht hätte. Am ehesten wäre wohl jener Neuplatoniker dazu in der Lage gewesen, der irgendwann ganz in der Nähe gelebt, doch – o weh! – inzwischen das Zeitliche gesegnet hatte, ohne den XX. Parteitag zu erleben.
»Nein, wirklich, die Welt gleicht einem brennenden Haus«, gab Wolodin voll Trauer kund.
»Einem brennenden Haus, na, ich weiß nicht«, versetzte Schurik beflissen. »Vielleicht einem sinkenden Schiff?«
»Was soll's? Das Leben geht weiter«, gab Kolja das Seine hinzu. »Oder sag mal, Wolodin, glaubst du eigentlich an den Weltuntergang?«
»Kommt ganz auf den individuellen Standpunkt an. Wenn zum Beispiel grad ein Tschetschene auf dich anlegt, dann steht der Weltuntergang kurz bevor.«
»Das wolln wir doch mal sehen, wer auf wen als erster anlegt«, sagte Kolja. »Aber ob es wirklich stimmt, daß alle Orthodoxen Amnestie kriegen?«
»Wo?«.
»Na, beim Jüngsten Gericht«, sagte Kolja schnell und leise.
»Sag bloß, du glaubst an diesen Tinnef?« fragte Schurik mißtrauisch.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dran glaube«, sagte Kolja. »Einmal, wie ich mir grad wieder die Hände schmutzig gemacht hatte, kriegte ich plötzlich einen seelischen Hänger, Gewissensbisse und so weiter. Und da komm ich an so 'ner Bude mit Ikonen und Broschüren und so was vorbei. Hab ich gleich eine gekauft, ›Leben im Jenseits‹ hieß die. Da konnte man lesen, wie's nach dem Tod weitergeht. Und das waren an sich lauter bekannte Dinge, man wußte gleich Bescheid: U-Haft, Verhandlung, Paragraphen, Strafe, Amnestie und so weiter. Abkratzen ist wie aus dem Knast ins Lager überführt werden. Die Seelenüberführung geschieht mit einer Art Sondertransport zum Himmel, Fegefeuer nennt sich das. Eingerichtet mit allem Drum und Dran, unten die Dunkelzelle, oben die normale, zwei Begleitwachen. Und auf dem Transport versuchen sie dir eben alles mögliche anzuhängen – deine Paragraphen und noch ganz andere, da mußt du sehen, wie du dich rauswindest. Die Regeln zu kennen ist das wichtigste. Aber wenn der Pate es will, läßt er dich trotzdem in die Dunkelzelle einfahren. Die Regeln sind nämlich so, daß du schon dadurch, daß du überhaupt geboren bist, die Hälfte der Paragraphen gegen dich hast. Einer davon heißt zum Beispiel: für sein Wort einstehen. Da geht's nicht drum, daß man sich mal verquatscht hat, nein, du büßt für jedes einzelne Wort, das du im Leben gesprochen hast. Verstehst du? Da kannst du noch so 'nen Eiertanz veranstalten, die kriegen dich doch am Arsch. Seele gleich Fegefeuer. Der Pate kann dir die Strafe allerdings erlassen. Wenn du dich oft genug ein Stück Scheiße genannt hast, tut er's vielleicht. Das hört er nämlich gerne. Und außerdem findet er's cool, wenn einer Angst vor ihm hat. Angst hat und sich so fühlt wie das letzte Stück Scheiße. Außerdem hat er so 'nen Riesenheiligenschein um sich rum und Flügel und 'ne Leibgarde – alles, wie sich's gehört. Und guckt so von oben auf dich runter als wie: ein Stück Scheiße, was denn sonst. Verstehst du? Ich hab das gelesen, und mir ist eingefallen, daß so was Ähnliches schon mal im ›Ogonjok‹ gestanden hat, damals in Perestrojka-Zeiten, als ich noch an der Gewichtheberschule war. Mir ist der Schweiß ausgebrochen, wie ich mich dran erinnert hab. Das muß man sich mal vorstellen: Die Leute haben unter Stalin so gelebt wie jetzt nach dem Tod!«
»Nix verstehen«, sagte Schurik.
»Paß auf. Unter Stalin gab's nach dem Tod den Atheismus. Jetzt haben wir wieder die Religion. Und trotzdem ist alles wie unter Stalin. Denk doch mal dran,
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